Univ.-Prof.
Dr. Christian Koenig LL.M. (LSE) Vorlesung Allgemeines Verwaltungsrecht
(an Beispielen aus dem Verwaltungsprozess verdeutlicht), Wintersemester
2006/07
Literaturauswahl-- Lehrbücher
Battis, Ulrich, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Heidelberg 2002.
Bull, Hans Peter; Mehde, Veith, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage,
Heidelberg 2005.
Detterbeck, Steffen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, München
2005.
Erichsen, Hans-Uwe; Ehlers, Dirk (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht,
12. Auflage, Berlin 2002.
Hendler, Reinhard, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, München
2001.
Huber, Peter-Michael, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Heidelberg
2003.
Hufen, Friedhelm, Verwaltungsprozessrecht, 6. Auflage, München 2005.
Ipsen, Jörn, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Köln
2005.
Jachmann, Monika, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Neuwied 2003.
Koch, Hans-Joachim; Rubel, Rüdiger; Heselhaus, F. Sebastian, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Neuwied 2003.
Manssen, Gerrit, Allgemeines Verwaltungsrecht, Stuttgart 2005.
Maurer, Hartmut, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, München
2006.
Peine, Franz-Joseph, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Auflage, Heidelberg
2006.
Schmidt, Rolf, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage, Grasberg 2006.
Schweickhardt, Rudolf; Vondung, Ute, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8 Auflage,
Stuttgart 2005.
Seidel, Achim; Reimer, Ekkehart; Möstl, Markus, Allgemeines Verwaltungsrecht
mit Kommunalrecht, 2. Auflage,
München 2005.
Wolff, Hans J.; Bachof, Otto; Stober, Rolf, Verwaltungsrecht; Band 1,
11. Auflage, München 1999; Band 2, 6. Auflage,
München 2000; Band 3, 5. Auflage, München 2004.
Fallbearbeitung
Becker, Joachim, Fälle und Lösungen zum Verwaltungsrecht, 2.
Auflage, Stuttgart 2006.
Brinktrine, Ralf, Fallsammlung zum Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Berlin
2005.
Grupp, Klaus; Stelkens, Ulrich, Saarheimer Fälle zum Staats- und
Verwaltungsrecht, unter: http://www.jura.unisb.
de/FB/LS/Grupp/klausur.htm.
Peine, Franz-Joseph, Klausurenkurs im Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Heidelberg
2006.
Heyen, Erk Volkmar, 40 Klausuren aus dem Verwaltungsrecht, 8. Auflage,
München 2005.
Matheus, Christian, Standardfälle Verwaltungsrecht (AT), Altenberge
2006.
Rauda, Christian, 25 Fälle Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht:
Klausurentraining mit Lösungen im Gutachterstil,
Dänischhagen 2006.
Schwerdtfeger, Gunther, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung:
Grundfallsystematik, Methodik, Fehlerquellen,
12. Auflage, München 2004.
Seidel, Achim, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Kommunalrecht, und Bezügen
zum Verwaltungsprozessrecht sowie
zum Staatshaftungsrecht, 2. Auflage, München 2005.
Seiler, Christian, Examens-Repetitorium Verwaltungsrecht: allgemeines
Verwaltungsrecht, Polizei-, Bau-, Kommunalrecht,
Staatshaftungsrecht, Heidelberg 2005.
Treder, Lutz, Prüfungsschemata Verwaltungsrecht: Grundlagen und Erläuterungen,
4. Auflage, Heidelberg 2006.
Uerpmann, Robert, Examens-Repetitorium Allgemeines Verwaltungsrecht mit
Verwaltungsprozessrecht, 2. Auflage,
Heidelberg 2006.
Zuleeg, Manfred, Fälle zum allgemeinen Verwaltungsrecht, 4. Auflage,
Heidelberg 2006.
Hinweis: Die im Rahmen der folgenden Gliederung unterbreiteten Vorschläge
zur vor- und nachbereitenden
Lektüre können selbstverständlich nur Anregungen darstellen.
Es wird damit nicht impliziert,
die angegebenen Werke seien „das Beste“, was man zum jeweiligen
Thema lesen könne.
Vielmehr muss jede Studentin und jeder Student das Lehrbuch finden, mit
dem sie oder er individuell
am besten zurecht kommt.
2
Gliederung der Vorlesung
I. Zur Theorie des rechts- und verfassungsstaatlichen Verwaltungsrechts
1. Rechtsstaat, Verfassungsstaat und Sozialstaat
Neuere Rechtsprechung: BVerwG, NVwZ 2005, 1184 ff.
2. Ausstrahlungswirkung des Verfassungsrechts auf das „einfache“
Verwaltungsrecht
(insbesondere verfassungsrechtliche Schutzpflichten, Organisations- und
Verfahrensgrundsätze)
Neuere Rechtsprechung:
- BVerwG, NVwZ 2006, 690 ff.
- BVerwG, NVwZ 2005, 332 ff.
- BVerwG, NVwZ 2005, 337 ff.
- VGH Mannheim, NVwZ 2005, 1098
3. Ausstrahlungswirkung des Gemeinschaftsrechts auf das „einfache“
Verwaltungsrecht
(Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts)
4. Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes (Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung)
> relevant für VII. 1. a) und b) – Ermächtigungsgrundlage
und VA-Befugnis
> Vorrang des Gesetzes: Art. 20 Abs. 3 GG: Die Verwaltung ist an bestehende
Gesetze gebunden,
d. h., sie muss ausführen, was die Gesetze (im materiellen Sinn,
d. h. auch RVOen
und Satzungen) ihr vorschreiben, und sie darf in ihrem Handeln nicht gegen
die Gesetze
verstoßen.
> Vorbehalt des Gesetzes: Insbesondere Eingriffe in die Rechte der
Bürger darf die Verwaltung
nur vornehmen, wenn sie dazu durch formelles Gesetz ausdrücklich
ermächtigt
wurde (durch formelles Gesetz kann auch bedeuten, dass das formelle Gesetz
die Entscheidung
über die Eingriffsbefugnis oder deren konkrete Ausgestaltung an untergesetzliche
Normgeber delegiert, wenn die Bestimmtheit gewahrt ist). Ob der Vorbehalt
des Gesetzes
auch für die Leistungsverwaltung gilt, ist str. (bei Subventionen
lässt die Rechtsprechung
die Bereitstellung im Haushaltsplan genügen, sehr str.).
Zur Vor- und Nachbereitung:
zu 1, 2: Maurer, § 2, Rn. 1 – 17
zu 3: Maurer, § 2, Rn. 31 – 36
zu 4: Maurer, § 4, Rn. 17 – 18, § 6
II. Aufbau und Organisation der öffentlichen Verwaltung
1. Grundbegriffe der Verwaltungsorganisation (Verwaltungsträger,
Organ, Behörde,
Amt)
2. Unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung
Exkurs: Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf den
Aufbau der
nationalen Verwaltung
Zur Vor- und Nachbereitung:
zu 1, 2: Peine, Rn. 24 – 110
zum Exkurs: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 17 Rn. 13
ff.; Peine, Rn. 171
3
III. Das Recht der Verwaltung
1. Das Verwaltungsrecht und seine Abgrenzung zum Privatrecht
> relevant v. a. für VI. 1. (Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
und VI. 2. a) ee) (Handeln
auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts).
> Die berühmten „Abgrenzungstheorien“: Niemals als
Streit in der Klausur bringen!!
> Hilfreich ist v. a. die Sonderrechtstheorie oder „modifizierte
Subjektstheorie“: Eine
Rechtsvorschrift gehört dem öffentlichen Recht an, wenn sie
in all ihren Anwendungsfällen
einen Träger öffentlicher Gewalt (staatlicher Hoheitsgewalt)
als solchen berechtigt oder
verpflichtet.
Neuere Rechtsprechung: BVerwG, NVwZ 2005, 1072 ff.
2. Die Verwaltungsrechtsquellen
a) Deutsche Verwaltungsrechtsquellen
Exkurs: Verwaltungsvorschriften
Neuere Rechtsprechung: BVerwG, NVwZ 2005, 602
b) Gemeinschaftsrechtliche Verwaltungsrechtsquellen
aa) Primäre Rechtsquellen
bb) Sekundäre Rechtsquellen
Exkurs: Der „effet utile“-Gedanke bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts
c) Rangfrage
3. Die Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder
4. Verwaltungshandeln in Privatrechtsform
a) Probleme des Verwaltungsprivatrechts
b) Die Zweistufentheorie
Zur Vor- und Nachbereitung:
zu 1: Peine, Rn. 116 – 133
zu 2: Peine, Rn. 134 – 181
zu 2 a Exkurs: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 24 Rn.
21 – 33
zu 2 b: Maurer, § 4, Rn. 59 – 68
zu 3: Peine, Rn. 280 – 300
zu 4: Peine, Rn. 189 – 197; Maurer, § 17, Rn. 1 – 35
IV. Das Verwaltungsrecht im Kreuzfeuer der Deregulierungdiskussion
1. Das verwaltungsrechtliche Verfahren als Verwirklichung verfassungsrechtlicher
Schutz- und Organisationspflichten des Staates (staatsrechtliche Grenzen
der Deregulierung)
2. Modelle und Umsetzung einer kooperativen Verwaltung
Zur Vor- und Nachbereitung:
zu 1: Peine, DÖV 1997, 353 ff.
zu 2: Maurer, § 15, Rn. 14 – 24
V. Das Verwaltungsrechtsverhältnis
1. Das sog. „besondere Gewaltverhältnis“
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2. Das Verwaltungsrechtsverhältnis als Grundlage einer neuen Dogmatik
des Verwaltungsrechts
> Relevant für VI. 2. a) ff) Außenwirkung
Zur Vor- und Nachbereitung: Peine, Rn. 264 – 279; Maurer, §
8, Rn. 16 – 30
VI. Der Verwaltungsakt [am Beispiel der Zulässigkeitsprüfung
einer Anfechtungsklage]
1. Rechtswegeröffnung, § 40 Abs. 1 VwGO
2. Statthaftigkeit der Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO (Aufhebung
eines belastenden
Verwaltungsaktes als Klageziel)
a) Begriffsmerkmale des Verwaltungsaktes, § 35 S. 1 VwVfG
aa) Regelung
> Herbeiführung einer verbindlichen Rechtsfolge, d. h. unmittelbare
Begründung,
Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten, Feststellung
oder Verneinung
von Rechten, Pflichten oder Rechtstatsachen; abzugrenzen von Realakten,
vorbereitenden Maßnahmen und Teilakten, behördlichen
Willenserklärungen ohne
Anordnungscharakter
bb) Hoheitliches Handeln
> hoheitlich = öffentlichrechtlich (identisch mit dem Prüfungsmerkmal
„auf dem
Gebiet des öffentlichen Rechts“)
> Problemfelder:
- Handlungen mit „Doppelnatur“: öffentlichrechtlich
gegenüber dem Adressaten,
privatrechtlich gegenüber faktisch betroffenen Dritten (st.
Rspr. des BGH, str.),
z. B. Gebührenberechnung durch staatliche Vermessungsämter (BGHZ
121, 126,
129 f.), Selbstabgabe von Brillen und Rollstühlen durch gesetzliche
Krankenkasse
(BGHZ 82, 375, 383; GmS-OGB BGHZ 102, 280, 286); wirtschaftliche Betätigung
von Ersatzkassen der GKV (BGHZ 66, 229, 233, 237; GmS-OGB BGHZ
108, 284, 287 f.).
- privatrechtsgestaltende VAe (öffentlichrechtlich),
z. B. Ausübung des gemeindlichen
Vorkaufsrechts nach § 24 BauGB, § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB, §
505 Abs. 2
BGB; behördl. Genehmigung privatrechtlicher Rechtsgeschäfte,
z. B. nach § 2
GrdstVG oder Genehmigung einer Stiftung, § 80 BGB.
cc) Einzelfall
> konkret-individuell, abzugrenzen von abstrakt-generell (Rechtsnorm),
abstraktindividuell
(VA, str.), konkret-generell (Allgemeinverfügung) dd) Behörde
> Stelle, die Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt, §
1 Abs. 4
VwVfG NW ee) Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
> identisch mit dem Prüfungsmerkmal „hoheitlich“
5
ff) Außenwirkung
> Betroffenheit von Rechten außerhalb des verwaltungsinternen
Bereichs, z. B.
von Bürgern oder sonstiger Rechtspersonen, aber auch Eingriff in
Kompetenzen
anderer selbständiger Verwaltungsträger
> muss tatsächlich, unmittelbar und beabsichtigt sein (rein faktische
Betroffenheit
genügt nicht)
> Problemfälle: innerdienstliche Weisungen.
- Keine Außenwirkung bei „Betriebsverhältnis“ (Adressat
nur als Amtswalter betroffen);
- Außenwirkung bei „Grundrechtsverhältnis“ (Adressat
in persönlicher und individueller
Rechtsstellung betroffen); z. B. Beamtenernennung, vorzeitige Pensionierung,
Beförderung; schulische Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen,
z. B.
Umsetzung eines Schülers in eine Parallelklasse (OVG Hamburg NVwZ-RR
2005, 40 f.) – anders: bei nur organisatorischen Maßnahmen,
wenn z. B. die Klasse
aufgelöst wird und die Schüler auf Parallelklassen verteilt
werden.
- Keine Außenwirkung bei Maßnahmen, die nach ihrem objektiven
Zweck nur
den verwaltungsinternen Bereich betreffen, dabei aber faktisch oder absichtlich
in
die persönliche Rechtsstellung des Adressaten eingreifen. V. a. im
öffentlichen
Dienstrecht: Einem Beamten wird ein anderer Aufgabenbereich zugewiesen,
der
nicht amtsangemessen oder diskriminierend ist. Maßnahme dient der
Umstrukturierung
des verwaltungsinternen Dienstbetriebs, betrifft den Beamten aber in seinem
persönlichen Anspruch auf Zuweisung eines amtsgemäßen
Dienstbereichs.
Kein VA, Rechtsschutz durch allg. Leistungsklage oder Feststellungsklage
(beachte
§ 126 BRRG!). Vgl. OVG Hamburg NVwZ-RR 2005, 125; OVG Lüneburg
NVwZ-RR 2005, 124, BVerwGE 60, 144 ff.; 89, 199 ff. Auch im Hochschulbereich:
Festlegung der Vorlesungen eines Hochschullehrers durch Fachbereichsrat
ist rein innerdienstlich trotz Betroffenheit von Art. 5 Abs. 3 Satz 1
GG, vgl. VGH
BaWü DÖV 2003, 380 f.).
> Auch hier Annahme einer „Doppelnatur“
mancher Maßnahmen durch BVerwG
und Teile der Lit. (str.): Es gebe Maßnahmen, die gegenüber
Betroffenen VA seien,
gegenüber anderen nicht. Insbes. relevant in Verbindung mit dem Selbstverwaltungsrecht.
Z. B. aufsichtsbehördliche Genehmigung einer Satzung sei VA gegenüber
der erlassenden Selbstverwaltungskörperschaft (z. B. Gemeinde, Handwerksinnung
oder Handelskammer), aber nicht gegenüber den Bürgern, denen
gegenüber
die Genehmigung Bestandteil der Satzung selbst (als untergesetzliche
Rechtsnorm) sei. Nachweise bei Detterbeck, Rn. 494.
Exkurs: Die Allgemeinverfügung, § 35 S. 2 VwVfG
> konkret-generelle Regelung (kein Einzelfall), dennoch VA (Klarstellung
durch das
Gesetz), drei Arten: personenbezogene, sachbezogene und benutzungsregelnde
Allgemeinverfügungen;
es gelten teilweise Sonderregeln, z. B. § 28 Abs. 2 Nr. 4, §
39
Abs. 2 Nr. 5, § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG.
b) Wirksamkeit des Verwaltungsaktes
aa) Bekanntgabe, §§ 41, 43 Abs. 1 VwVfG
> konstitutiv für Existenz des VAs, sonst „Nicht-VA“
> Für die Bekanntgabe zuständige Behörde muss in amtlicher
Eigenschaft wissentlich
und willentlich den Inhalt des VAs dem Betroffenen gegenüber
eröffnen.
6
> Normalerweise keine bes. Form vorgeschrieben, auch mündlich,
elektronisch
oder konkludent durch Gesten (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §
37 Abs. 2 Satz 1
VwVfG).
> Sonderformen der Bekanntgabe: durch Post (§
41 Abs. 2 VwVfG), öffentliche
Bekanntgabe (§ 41 Abs. 3, 4 VwVfG), wenn vom Gesetz gefordert: Zustellung
(§ 41 Abs. 5 VwVfG i. V. m. §§ 2 ff. VwZG – wichtigster
Fall: Widerspruchsbescheid,
§ 73 Abs. 3 VwGO).
> Rechtsfolgen einer fehlerhaften Bekanntgabe str.;
BVerwG und h. M.: nur bei
gänzlich unterbliebener Bekanntgabe „Nicht-VA“,
bei Verstoß gegen § 44 Abs. 1,
2 VwVfG nichtiger VA (unwirksam gemäß
§ 43 Abs. 3 VwVfG), bei sonstigem
http://www.jura.uni-sb.de/FB/LS/Grupp/Anmerkungen/vawirksamkeit.htm
Verstoß
gegen Bekanntgabevorschriften Wirksamkeit und Rechtswidrigkeit des
VAs (Rechtsbehelfsfristen beginnen nicht zu laufen), vgl. BVerwGE
112, 78,
79 f.
> Bei Nichtexistenz oder Nichtigkeit beachte §
46 VwVfG; bei Zustellungsmängeln
ist Heilung nach § 9 VwZG zu prüfen.
> Ordnungsgemäße Bekanntgabe setzt Rechtsbehelfsfristen
in Gang, aber nur für
denjenigen Adressaten, dem gegenüber die Bekanntgabe tatsächlich
erfolgte. Die
Frist berechnet sich daher für jeden Adressaten einzeln, §§
80 Abs. 1, 74 Abs. 1
VwGO. Ist der VA durch Bekanntgabe gegenüber irgendjemandem existent
geworden,
können auch andere Betroffene, denen er nicht bekanntgegeben wurde,
Rechtsbehelfe einlegen. Für sie gelten keine Fristen, aber sie verwirken
ihren
Rechtsbehelf, wenn sie ihn nicht innerhalb eines Jahres nach Kenntnisnahme
oder
Kennenmüssen des VAs einlegen (Treu und Glauben, vgl. BVerwGE 78,
85,
89 ff.).
> Bekanntgabe von Verkehrszeichen (§ 39 Abs. 2 StVO) = benutzungsregelnde
Allgemeinverfügungen: nach BVerwGE 102, 316, 318 (vgl. auch BVerwG
DVBl.
2004, 518 f.) durch Aufstellen des Schildes (besondere Form der öffentlichen
Bekanntgabe,
festgelegt durch die spezielleren Vorschriften der StVO). Es kommt
nur auf abstrakte, nicht auf konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme
an. Widerspruchsfrist
(§ 70 Abs. 1 VwGO) beginnt für alle mit Aufstellen des Schildes,
beträgt
generell mangels Rechtsbehelfsbelehrung ein Jahr (§ 58 Abs. 2 VwGO).
Neuere Rechtsprechung:
- BFH, NVwZ-RR 2006, 160 ff.
- BVerwG, NVwZ 2005, 1331 ff.
- BVerwG, NVwZ 2006, 943 ff.
- BFH, NVwZ-RR 2005, 765 ff.
- OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2005, 760 ff.
bb) Keine Erledigung, § 43 Abs. 2 VwVfG
> Erledigung ist Wegfall der „Beschwer“
(d. h. der belastenden Regelungswirkung)
durch den VA, sei es durch äußere Ereignisse, sei es durch
Handeln des Betroffenen
oder der Behörde selbst.
cc) Keine Nichtigkeit, § 43 Abs. 3 VwVfG (zur Nichtigkeit unten VII.
2. a)
7
3. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage
a) Die Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO
aa) „Adressatentheorie“
> Wenn jemand Adressat eines belastenden VAs ist, ist nicht auszuschließen,
dass
er dadurch zumindest in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit,
Art. 2 Abs. 1 GG, verletzt sein könnte.
bb) Problemfälle
- Drittbetroffenheit
- Klagebefugnis für ausländische Betroffene
- Klagebefugnis von juristischen Personen des Öffentlichen Rechts
- altruistische Verbandsklage
cc) Möglichkeit der Rechtsverletzung
> „Möglichkeitstheorie“: Es genügt für die
Klagebefugnis, wenn eine Rechtsverletzung
beim Kläger nicht ausgeschlossen erscheint.
Exkurs: Das subjektive öffentliche Recht
> abzugrenzen vom objektiven Recht (Summe aller geschriebenen Rechtssätze)
und
vom bloßen Rechtsreflex (faktischer Vorteil für den Bürger,
Verhalten, zu dem der
Staat verpflichtet ist, auf den aber kein Rechtsanspruch des Bürgers
besteht)
> Subj.-öff. Recht gibt dem Bürger einen Anspruch
gegen die öffentliche Hand in einer
ihrer Ausprägungen; manchmal ausdrücklich; manchmal muss Anspruch
durch
Auslegung ermittelt werden.
> „Schutznormtheorie“: Eine Norm, die
die Verwaltung zu einem bestimmten Handeln
verpflichtet, gewährt ein subj.-öff. Recht, wenn sie zumindest
auch dem Schutz
von Individualinteressen bestimmt ist. Neuere Rechtsprechung:
- VGH München, NVwZ-RR 2006, 303 ff.
- OVG Koblenz, NVwZ 2005, 1208 ff.
- VG München, NVwZ 2005, 1219 ff.
- VG München, NVwZ 2005, 839 ff.
- VG Stuttgart, NVwZ 2005, 971 ff.
- VG München, NVwZ 2005, 1215 ff.
b) Widerspruchsverfahren, § 68 VwGO
Neuere Rechtsprechung:
- VG Gera, NVwZ-RR 2005, 5 ff.
- VGH Mannheim, NVwZ-RR 2006, 154 ff.
- BVerwG, NVwZ 2006, 1072 ff.
- OVG Münster, NVwZ-RR, 451
c) Klagefrist, § 74 Abs. 1 VwGO
4. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen (nicht Gegenstand dieser
Vorlesung)
Zur Vor- und Nachbereitung:
zu 1: Hufen, § 11
8
zu 2a: Peine, Rn. 310 – 496
zu 2 a aa: Peine, Rn. 358 – 366
zu 2 a bb: Peine, Rn. 335 – 350
zu 2 a cc: Peine, Rn. 367 – 375
zu 2 a dd: Peine, Rn. 329 – 334
zu 2 a ee: Peine, Rn. 351 – 357
zu 2 a ff: Maurer, § 9, Rn. 26 – 30
zum Exkurs: Peine, Rn. 397 – 415
zu 2 b: Peine, Rn. 538 – 556; 747 – 757
zu 3, 4: Hufen, § 14
VII. Die Rechtmäßigkeit des (belastenden) Verwaltungsaktes
[am Beispiel der
Begründetheit einer Anfechtungsklage]
> Obersatz der Begründetheitsprüfung: „Die Klage des
Klägers ist begründet, wenn der Verwaltungsakt
der Behörde rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten
verletzt ist.“
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
1. Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes
a) Ermächtigungsgrundlage zum VA-Erlass
> Vorbehalt des Gesetzes! Belastende VAe bedürfen einer formell-gesetzlichen
Grundlage – wenigstens indirekt in der Form, dass der formelle Gesetzgeber
einen Verordnungs-
oder Satzungsgeber zum Erlass entsprechender Eingriffsbefugnisnormen
ermächtigt. Das ermächtigende formelle Gesetz sowie eventuelle
auf ihm beruhende
RVOen und Satzungen müssen ihrerseits rechtmäßig sein;
anderenfalls ist der VA
schon allein deswegen rechtswidrig.
> Fehlt die erforderliche Ermächtigungsgrundlage, ist der VA rechtswidrig.
> Im normalen Klausurfall ist an dieser Stelle schlicht die einschlägige
Ermächtigungsgrundlage
zu nennen (so genau wie möglich, mit §, Absatz, Satz, ggf. Nr.)
und
mit der Prüfung fortzufahren. Die einschlägige Ermächtigungsgrundlage
muss zuerst
ermittelt werden, da die konkreten Voraussetzungen der formellen und materiellen
Rechtmäßigkeit von der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage
abhängen.
b) VA-Befugnis
> In einigen Fällen lässt eine Ermächtigungsgrundlage
offen, in welcher Form die
Verwaltung handeln darf, um ihre Rechte durchzusetzen oder ihre Aufgaben
zu erfüllen.
Es fragt sich dann, ob die Behörde sich selbst aussuchen kann, ob
sie im Wege des
VAs handelt oder ob sie Klage beim VG erhebt.
> Grundregel: Im Bereich der Eingriffsverwaltung darf die Behörde
nur dann per VA
handeln, wenn sie vom Gesetz zu dieser Handlungsform ermächtigt wird.
Es ist durch
Auslegung zu ermitteln, ob das Gesetz das tut. In den meisten Fällen
ist es unproblematisch.
> Beachte: § 35 VwVfG kann nicht als „allgemeine VA-Befugnis“
interpretiert werden!!
> Im Bereich der Leistungsverwaltung ist das Handeln per VA in aller
Regel unproblematisch
möglich, da in den meisten Fällen die Behörde durch die
Gewährung einer
Leistung nicht in Rechte des Bürgers eingreift, daher dessen Benachteiligung
durch
die Handlungsform VA nicht in Betracht kommt. Das gilt unabhängig
davon, ob man
für die Leistungsgewährung im Einzelfall eine formell-gesetzliche
Ermächtigungsgrundlage
verlangt oder nicht.
9
> Problemkreis öffentlichrechtliche Verträge: Im Regelfall
darf die Behörde ihre vertraglichen
Ansprüche nicht per VA durchsetzen, außer das Gesetz sieht
das vor oder
die vertragliche Leistung wurde per VA gewährt.
> Problemkreis Beamtenrecht: Ansprüche der Behörde gegen
den Beamten dürfen
grundsätzlich per VA durchgesetzt werden.
> Problemkreis Subventionen: Durch VA bewilligte Subventionen können
auch durch
VA zurückgefordert werden. Im Anwendungsbereich der §§
49 Abs. 3, 49a Abs. 1
VwVfG regeln diese Normen das Problem.
c) Formelle Rechtmäßigkeit
> In der Klausur nur zu prüfen, wenn Hinweise im Sachverhalt zu
finden sind!
aa) Zuständigkeit
> örtlich, sachlich, (instantiell, funktionell)
> Zuständigkeitsvorschriften hängen mit der Ermächtigungsgrundlage
zusammen.
> Bsp.: §§ 4, 5 OBG NW, § 62 BauO NW
bb) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
> Grundsatz: nichtförmliches Verfahren, § 10 Satz 1 VwVfG.
> Allgemeine Regeln: §§ 9-30 VwVfG
> Insbesondere § 28 VwVfG: Anhörungserfordernis (mit Ausnahmen
und Heilungsmöglichkeit
nach § 45 VwVfG bei Verstoß)
> Besondere Verfahrensvoraussetzungen ergeben sich aus Spezialvorschriften,
z. B. §§ 63-71 VwVfG (förmliches Verwaltungsverfahren),
§§ 72-78 VwVfG
(Planfeststellungsverfahren).
cc) Form, § 37 Abs. 2–4 VwVfG
> Normalerweise keine besondere Form vorgeschrieben, d. h. es gibt
auch mündliche
oder konkludente VAe (z. B. mündliche Anweisung eines Polizisten,
eine
bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen; Handzeichen eines
Verkehrspolizisten).
> Besondere Formerfordernisse ergeben sich aus Spezialvorschriften,
z. B. § 20
Abs. 1 Satz 1 OBG NW und § 75 Abs. 1 Satz 2 (Schriftform).
dd) Begründung, § 39 VwVfG
> Besonderheiten können sich wieder aus Spezialvorschriften ergeben.
> Beachte: Eine unterbliebene Rechtsbehelfsbelehrung führt nicht
zur Rechtswidrigkeit
des VAs! Es wird dann nur nicht die reguläre Rechtsbehelfsfrist in
Gang gesetzt.
> § 37 Abs. 1 VwVfG (Bestimmtheitserfordernis) ist keine Voraussetzung
der formellen,
sondern der materiellen Rechtmäßigkeit des VAs (vgl. unten
d) bb)).
Exkurs: Unbeachtlichkeit und Heilbarkeit von Verfahrens- und Formfehlern,
§§ 45, 46
VwVfG
> Zweck: „Rettung“ eines materiell rechtmäßigen,
also „richtigen“ VAs vor Aufhebung
allein wegen eines Formfehlers; Verfahrensökonomie (Vermeidung eines
neuen
Verwaltungsverfahrens, in dem der VA erneut, diesmal ohne Formfehler,
erlassen
werden müsste).
> Heilbare Verstöße zählt § 45 VwVfG abschließend
auf.
> Zeitliche Grenze (§ 45 Abs. 2): bis zum Abschluss der letzten
Tatsacheninstanz des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (nicht mehr in der Revisionsinstanz!).
10
> Nachholen kann grundsätzlich die Ausgangsbehörde, teilweise
auch die Widerspruchsbehörde,
wenn deren Prüfungskompetenz das erlaubt (Stichwort: Rechtsaufsicht
– Fachaufsicht).
> Beachte: Nachholung der Begründung nach § 45 Abs. 1 Nr.
2 VwVfG ist nicht dasselbe
wie das Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess. Letzteres
ist eine
inhaltliche Erweiterung einer bereits vorhandenen Begründung, also
kein formelles,
sondern ein materielles Problem, das anhand von § 114 Abs. 2 VwGO
gelöst werden
muss.
> In der ordnungsgemäßen Durchführung des Widerspruchsverfahrens
liegt i. d. R. die
Nachholung einer unterbliebenen Anhörung nach 345 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG.
Ausnahme:
Die Einwände des Bürgers wurden bei der Widerspruchsentscheidung
nicht einmal
zur Kenntnis genommen, der Widerspruchsbescheid wurde auf ganz neue Tatsachen
gestützt, zu denen sich der Bürger noch gar nicht äußern
konnte, oder die Widerspruchsbehörde
hat eine Ermessensentscheidung getroffen, für die sie nicht die Überprüfungskompetenz
hatte (nur Rechtsaufsicht, keine Fachaufsicht).
> Von § 45 zu unterscheiden ist § 46 VwVfG. Dieser kommt
zur Anwendung, wenn
keine Heilung nach § 45 stattgefunden hat, der VA also formell rechtswidrig
ist. Voraussetzung:
Der Verfahrensfehler, aufgrund dessen der VA formell rechtswidrig ist,
hat die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst. Das
ist bei gebundenen
Entscheidungen (oder Ermessensreduzierung auf Null) immer dann der Fall,
wenn der VA materiell rechtmäßig ist, bei ErmessensVAen nur
dann, wenn ganz eindeutig
keine Möglichkeit besteht, dass die Behörde bei Beachtung der
Formvorschrift
eine andere Entscheidung getroffen hätte (und das ist der absolute
Ausnahmefall).
d) Materielle Rechtmäßigkeit
aa) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
> Es sind die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
zu prüfen.
Exkurs: Unbestimmte Rechtsbegriffe und die Lehre vom Beurteilungsspielraum
> Unbestimmte Rechtsbegriffe
- finden sich immer auf der Tatbestandsseite einer Ermächtigungsgrundlage
(- das
Ermessen hingegen immer auf der Rechtsfolgenseite!).
- sind nicht scharf konturiert und müssen von der Praxis inhaltlich
ausgefüllt werden.
> Bei der Anwendung und Ausfüllung mancher unbestimmter Rechtsbegriffe
hat
die Verwaltung keinen Beurteilungsspielraum (Entscheidungsspielraum).
Bsp.: „Unzuverlässigkeit“ im Gewerbe- und Gaststättenrecht.
Dann ist die behördliche
Entscheidung, soweit der unbestimmte Rechtsbegriff betroffen ist, gerichtlich
voll nachprüfbar, d. h. das Gericht prüft nach seinem eigenen
Maßstab
nach, ob die Voraussetzungen des Begriffs im Einzelfall erfüllt sind.
> In anderen Fällen steht der Behörde ein Beurteilungsspielraum
zu.
Bsp.: Prüfungsentscheidungen. Hier erfolgt nur eine eingeschränkte
gerichtliche
Überprüfung, d. h. das Gericht überprüft nur, ob die
behördliche Entscheidung im
Rahmen des Vertretbaren ist. Es darf nicht seine eigene Wertung zugrundelegen,
sondern muss den Wertungsspielraum der Verwaltung achten.
> Der Regelfall ist der unbestimmte Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum
(wegen Art. 19 Abs. 4 GG). Vgl. BVerfGE 64, 261, 279; 84, 34, 49 f.
> Fallgruppen mit Beurteilungsspielraum:
- Prüfungsentscheidungen (Abitur, Diplomprüfungen, Staatsprüfungen,
Laufbahnprüfungen):
Nachprüfbar nur auf Verstoß gegen Verfahrensvorschriften oder
-grundsätze (aber Rügepflicht des Prüflings!), Verstöße
gegen das Fairnessgebot,
11
darauf, ob die Prüfer von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen
sind,
sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen, gegen allgemeine
Bewertungsmaßstäbe
verstoßen oder willkürlich entschieden haben. Das BVerfG (E
84,
34, 55) hat den Beurteilungsspielraum der Prüfer dahingehend eingeschränkt,
dass
„zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen [...] nicht
als falsch bewertet
werden dürfen“.
- beamtenrechtliche Eignungs- und Leistungsbeurteilungen (hier gelten
im wesentlichen
dieselben Grundsätze wie bei Prüfungen)
- „höchstpersönliche Akte wertender Erkenntnis“
durch weisungsunabhängige,
staatsfreie und nach besonderen Kriterien (i. d. R. Sachverstand) zusammengesetzte
Gremien; welche dazugehören, wird – auch von den Gerichten
– sehr uneinheitlich
beurteilt. Das gleiche gilt für Prognose- und Risikoentscheidungen
(v. a. im Umwelt- und Wirtschaftsrecht).
> Man kann bei der Überprüfung die Maßstäbe der
Ermessensfehlerlehre heranziehen:
„Beurteilungsausfall“, „Beurteilungsüberschreitung“,
„Beurteilungsfehlgebrauch“,
„Beurteilungsreduzierung auf Null“ (vgl. dazu sogleich dd)
– Exkurs).
bb) Bestimmtheit des Verwaltungsaktes, § 37 Abs. 1 VwVfG
Neuere Rechtsprechung:
- BVerwG, NVwZ-RR 2006, 589
cc) Verhältnismäßigkeit des Verwaltungsaktes (Übermaßverbot)
Prüfungsschritte:
(1) Angestrebter Zweck: Welchen Zweck verfolgt der VA? Ist schon der Zweck
selbst illegitim oder rechtswidrig, ist der VA unverhältnismäßig
und damit ebenfalls
rechtswidrig (in der Klausur selten der Fall).
(2) Geeignetheit: Ist das Mittel geeignet, den angestrebten Zweck in irgendeiner
Weise zu fördern? Es genügt auf dieser Stufe schon, wenn das
Mittel auch nur ein
klein wenig nützlich ist. Nur wenn das gar nicht der Fall ist, ist
es ungeeignet und
der VA rechtswidrig.
(3) Erforderlichkeit: Gibt es ein milderes Mittel zur Erreichung des Zwecks,
das
ebenso effektiv ist wie das gewählte? Dabei sind nur rechtmäßige
Alternativen in
Betracht zu ziehen.
(4) Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engen Sinn):
Ist das Mittel geeignet
und erforderlich zur Erreichung des Zwecks, hat eine Gesamtabwägung
zwischen
der Schwere des Eingriffs (der Belastung) durch den VA und dem Gewicht
des
damit verfolgten Zwecks (oder dem damit erreichten Nutzen für die
Allgemeinheit)
zu erfolgen. Es findet eine umfassende Interessenabwägung statt.
Sind Interessen
Dritter betroffen, so sind diese in die Abwägung einzubeziehen. Wiegen
die Interessen des Adressaten des belastenden VAs (= in unserem Aufbau
des
Klägers) schwerer als die übrigen Interessen, so ist er unverhältnismäßig
belastet,
und der VA ist rechtswidrig.
> Bei gebundenen Entscheidungen der Verwaltung ist normalerweise keine
Verhältnismäßigkeitsprüfung
vorzunehmen. Bei entsprechenden Hinweisen im Sachverhalt
ist ggf. die Rechtmäßigkeit (einschließlich der Verhältnismäßigkeit)
der
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zu überprüfen.
> Die Verhältnismäßigkeit kann als eigenständiger
Gliederungspunkt oder als Teil
des Ermessens geprüft werden (eine unverhältnismäßige
Maßnahme ist immer
auch ermessensfehlerhaft).
Neuere Rechtsprechung:
- VG Düsseldorf, NVwZ-RR 2006, 158 ff.
12
dd) Bei Ermessensverwaltungsakten: Fehlerfreie Ermessensausübung,
§ 40 VwVfG,
§ 114 VwGO
> Ermessen ist der Entscheidungsspielraum der Behörde auf der
Rechtsfolgenseite
der Ermächtigungsnorm (zu unterscheiden vom Beurteilungsspielraum
auf der
Tatbestandsseite!, siehe oben Exkurs nach aa). Alle Tatbestandsvoraussetzungen
sind erfüllt, aber die Norm lässt der Verwaltung die Wahl zwischen
mehreren
Maßnahmen (meist zu erkennen am Wortlaut: „kann“). Manchmal
ergibt sich das
Ermessen nicht aus dem Wortlaut, sondern muss durch Auslegung ermittelt
werden
(v. a. aus dem Normzweck).
> Sonderfall „Soll-Vorschriften“: In Normalfällen
tritt die Rechtsfolge zwingend
ein, nur in Ausnahmefällen kann von der Rechtsfolge abgesehen werden.
D. h. nur
im Sonderfall wird die Vorschrift zur Ermessensvorschrift. Vgl. BVerwGE
90, 88,
93; 88, 1, 8.
> Entschließungsermessen: Die Behörde muss wählen,
ob sie im Einzelfall tätig
wird oder nicht.
> Auswahlermessen: Wenn die Behörde tätig wird, hat sie die
Auswahl zwischen
mehreren Vorgehensweisen.
> Bsp.: § 8 Abs. 1 PolG NRW räumt der Polizei Entschließungs-
und Auswahlermessen
ein.
> „Intendiertes“ Ermessen (Begriff des BVerwG, vgl. BVerwGE
72, 1, 6; 91, 82,
90; 105, 55, 57 f.): Einige Normen, die der Behörde Ermessen einräumen,
behandelt
das BVerwG quasi wie Soll-Vorschriften, indem es der Norm „ermessenslenkende
Vorgaben“ entnimmt, die für alle „Normalfälle“
eine bestimmte Rechtsfolge
zwingend indizieren. Handelt es sich nach Ansicht der Behörde um
einen solchen
Normalfall, so braucht sie (entgegen dem Wortlaut der Norm) keine Ermessenserwägungen
anzustellen, sondern kann sich damit begnügen festzustellen,
dass eben ein solcher „Normalfall“ vorliege. Nur wenn sie
einen „Ausnahmefall“
annimmt, muss sie Ermessenserwägungen anstellen. Die Befreiung der
Behörde
von dieser Pflicht und die Unterschiebung eines bestimmten angeblich normgewollten
„Normalergebnisses“ wird kritisch gesehen.
Exkurs: Die Ermessensfehlerlehre
> Ermessen ist nicht beliebige Wahlfreiheit, es ist an strenge Regeln
und Grenzen
gebunden („pflichtgemäßes Ermessen“). Vgl. §
40 VwVfG, § 114 Satz 1 VwGO.
Das Gericht überprüft die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen
des Ermessens. Es
darf hingegen nicht seine eigenen Ermessenserwägungen oder Vorstellungen
von
Zweckmäßigkeit an die der Behörde setzen.
> Ermessensnichtgebrauch: Behörde stellt keinerlei Ermessenserwägungen
an,
obwohl sie müsste.
> Ermessensüberschreitung: Behörde ergreift eine Maßnahme,
die das Gesetz ihr
gar nicht erlaubt.
> Ermessensfehlgebrauch:
- Zweckverfehlung: Behörde erkennt oder beachtet den Zweck der Ermessenseinräumung
nicht.
- Abwägungsdefizit: Umstände und Rechtsgüter, die bei der
Abwägung hätten
berücksichtigt werden müssen, werden ignoriert.
- Ermessensmissbrauch: Behörde stützt ihre Entscheidung auf
sachfremde
oder missbräuchliche Erwägungen.
> Verstoß gegen Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze:
v. a. Verhältnismäßigkeit,
Gleichheitsgrundsatz
13
> Ermessensreduzierung auf Null: Es gibt Situationen, in denen nur
noch eine
einzige Maßnahme rechtmäßig sein kann, z. B. wenn eine
Gefahrensituation sich
so zugespitzt hat, dass die Behörde handeln muss (Reduzierung des
Entschließungsermessens),
oder wenn eine Lage ihrer Natur nach nur eine einzige sinnvolle
Maßnahme zulässt (Reduzierung des Auswahlermessens). Eine Ermessensreduzierung
auf Null beruht häufig auf grundrechtlichen Erwägungen und auf
dem hohen
Wert zu schützender Rechtsgüter.
2. Rechtsverletzung durch den Verwaltungsakt, § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO
> Hier muss die Verletzung eines subjektiven Rechts des Klägers,
deren bloße Möglichkeit
für die Klagebefugnis (oben VI. 3. a) genügt hatte, positiv
festgestellt werden. Das verletzte
subjektive Recht muss genau identifiziert und benannt werden. Dabei ist
einfaches Recht
heranzuziehen, bevor man auf Grundrechte zurückgreift.
Exkurs: Rechtsfolgen der Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes
a) Die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes, § 44 VwVfG
> Prüfungsreihenfolge:
1) § 44 Abs. 3 – Negativliste – diese Rechtsverstöße
führen nicht zur Nichtigkeit
des VAs; wenn Abs. 3 verneint wird:
2) § 44 Abs. 2 – Positivliste absoluter Nichtigkeitsgründe
– diese Verstöße führen
ohne weitere Voraussetzungen zur Nichtigkeit des VAs; wenn auch Abs. 2
verneint
wird:
3) § 44 Abs. 1 – relative Nichtigkeitsgründe (allgemeine
Regel).
> Voraussetzungen der Nichtigkeit nach § 44 Abs. 1:
1) besonders schwerwiegender Fehler: nicht jeder schwere Rechtsverstoß
(restriktive
Anwendung), nur schwerer Verstoß gegen eine ganz besonders wichtige
Rechtsbestimmung,
der „schlechthin unerträglich für die Rechtsordnung“
ist (BVerwG
NJW 1971, 578) oder „in eklatanter Weise“ gegen Verfassungsrecht
verstößt.
2) Offensichtlichkeit: wird nicht per se durch die Schwere des Fehlers
bedingt;
Maßstab ist der „aufmerksame und verständige Durchschnittsadressat“.
> Folgen der Nichtigkeit:
- Unwirksamkeit des VAs gemäß § 43 Abs. 3 VwVfG (braucht
nicht befolgt zu werden)
- Nichtigkeitsfeststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO
- trotzdem auch Anfechtbarkeit gemäß § 42 Abs. 1 VwGO
(wird aus § 43 Abs. 2
Satz 2 VwGO geschlossen) – Grund: der Bürger kann nicht im
voraus beurteilen, ob
ein VA nichtig oder bloß rechtswidrig ist (dazu sind die Kriterien
viel zu vage)
- Behörde kann Nichtigkeit gemäß § 44 Abs. 5 VwVfG
durch VA feststellen.
b) Die (bloße) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes
> Rechtswidriger VA ist anfechtbar durch Widerspruch (§§
68 ff. VwGO) und Anfechtungsklage
8§ 42 Abs. 1 VwGO).
> Rechtswidriger VA kann durch Behörde, die Widerspruchsbehörde
oder das Verwaltungsgericht
aufgehoben werden, durch die beiden letzteren nur bei (rechtzeitiger)
Anfechtung durch den Bürger. Die Ausgangsbehörde kann ggf. noch
aufheben, wenn
der Bürger kein Anfechtungsrecht mehr hat (§§ 48, 49 VwVfG,
vgl. unten IX. und X.).
> Möglich ist auch die Teilanfechtung und Teilaufhebung (vgl.
§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO: „soweit“). Dann muss aber der VA teilbar sein, der verbleibende
Teil des VAs
rechtmäßig sein, und bei Aufhebung von ErmessensVAen durch
das Gericht muss der
14
Rest-VA durch den mutmaßlichen Willen der Behörde (objektivierter
Maßstab) gedeckt
sein.
> Ein VA, der wegen Verfahrens- oder Formfehlern formell rechtswidrig
ist, kann eventuell
mit Hilfe der §§ 45, 46 VwVfG „gerettet“ werden
(s. o. 1. c) Exkurs).
> In manchen Fällen kommt eine Umdeutung des rechtswidrigen VAs
gemäß § 47
VwGO in Betracht.
Zur Vor- und Nachbereitung:
zu 1 a, b: Detterbeck, Rn. 589 – 602
zu 1 c : Peine, Rn. 557 - 658
zu 1 c Exkurs: Peine, Rn. 722 - 740
zu 1 d aa, Exkurs: Peine, Rn. 225 – 237; Detterbeck, Rn. 348 –
379
zu 1 d bb: Peine, Rn. 663 – 667
zu 1 d cc: Detterbeck, Rn. 229 – 245
zu 1 d dd: Peine, Rn. 200 – 224; Detterbeck, Rn. 311 – 347
zum Exkurs nach 2: Peine, Rn. 673 – 746
VIII. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt, § 36 VwVfG [am Beispiel
der
Begründetheitsprüfung einer Anfechtungsklage]
1. Die Arten der Nebenbestimmungen
> Nebenbestimmungen dienen vor allem der Ausräumung von Hindernissen,
die dem Erlass
eines begünstigenden VAs entgegenstehen. Bei belastenden VAen dienen
sie oft der
Wahrung der Verhältnismäßigkeit.
> Nebenbestimmungen sind Teil des VAs, keine selbständigen VAe.
Für die Auflage ist
das allerdings str., manche sagen, sie sei ein eigenständiger VA.
Alle Nebenbestimmungen
sind jedoch akzessorisch zum HauptVA und erlöschen ebenfalls bei
dessen Aufhebung.
> Das VwVfG sieht fünf Arten von Nebenbestimmungen vor (legal
definiert in § 36 Abs. 2
VwVfG).
a) Befristung (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG)
> „Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung
zu einem bestimmten
Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt“.
b) Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG)
> „Bestimmung, nach der der Eintritt oder Wegfall einer Vergünstigung
oder einer Belastung
von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt“
(aufschiebende
oder auflösende Bedingungen) – übrigens auch dann, wenn
der Eintritt des
Ereignisses vom Willen des Begünstigten oder eines Dritten abhängt
(„Potestativbedingung“).
c) Widerrufsvorbehalt (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG)
> Dadurch behält sich die Behörde vor, den VA später
wieder aufzuheben. Der Widerrufsvorbehalt
verhindert, dass beim Adressaten Vertrauen entstehen kann, der VA
werde unbegrenzt gültig sein. Vgl. als korrespondierende Bestimmung
§ 48 Abs. 2
Nr. 1 (2. Alt.) VwVfG.
d) Auflage (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG)
> „Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden
oder Unterlassen vorgeschrieben
wird“. Auflagen treten per definitionem nur bei begünstigenden
VAen auf.
15
> Häufiges Klausurproblem: Abgrenzung zwischen Bedingung und Auflage
Maßgebend für die Abgrenzung ist nicht die von der Behörde
gewählte Bezeichnung,
sondern der materielle Gehalt der Regelung, wie er durch Auslegung aus
dem objektiven
Empfängerhorizont (§ 133 BGB) zu ermitteln ist. Für die
Abgrenzung der Bedingung
von der Auflage kommt es darauf an, ob eine Regelung unmittelbar Einfluss
auf
die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes haben soll (Bedingung) oder ob die
Wirksamkeit
von einer weiteren behördlichen Entscheidung abhängen soll (dann
Auflage). Die
Auflage berührt die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes nicht unmittelbar;
dieser bleibt
unabhängig von der Erfüllung der Auflage oder deren Bestand
wirksam. Die Behörde
kann die Auflage jedoch zwangsweise durchsetzen oder den Verwaltungsakt
nach § 49
Abs. 2 Nr. 2 VwVfG widerrufen. Merksatz: „Die Bedingung suspendiert,
zwingt aber
nicht; die Auflage zwingt, suspendiert aber nicht.“ Da die Auflage
die Wirksamkeit
des Verwaltungsaktes nicht berührt, aber als Handlungsgebot vollstreckt
werden kann,
ist sie im Zweifel sowohl für den Adressaten als auch für die
Behörde günstiger.
> „Modifizierende Auflage“ – ist keine Auflage und
gar keine Nebenbestimmung!!!
Daher passt der Begriff auch nicht (als Alternative wird z. B. vorgeschlagen
„modifizierende
Genehmigung“). Es handelt sich um eine bloße Inhaltsbestimmung,
die nicht
selbständig durchsetzbar ist. Im Grunde wird damit ein inhaltlich
anderer VA als der
vom Bürger beantragte erlassen (ein „aliud“). Wer sich
dagegen wehren will, muss
den VA selbst angreifen; eine isolierte Anfechtung kommt nicht in Betracht!
e) Auflagenvorbehalt (§ 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG)
> Ankündigung „der nachträglichen Aufnahme, Änderung
oder Ergänzung einer Auflage“.
Wie der Widerrufsvorbehalt verhindert auch der Auflagenvorbehalt die Entstehung
schutzwürdigen Vertrauens beim Adressaten.
> Die nachträgliche Hinzufügung von Bedingungen, Befristungen
und Widerrufsvorbehalten
ist von Nr. 5 nicht gedeckt und daher nur bei ausdrücklicher spezialgesetzlicher
Ermächtigung möglich. Ohne diese Ermächtigungsgrundlage
wäre der nachträgliche
Erlass einer Nebenbestimmung die Aufhebung des ursprünglichen VAs
verbunden
mit dessen Neuerlass in Verbindung mit einer Nebenbestimmung. Das ist
in aller
Regel rechtswidrig.
2. Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Nebenbestimmung
a) Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage
> Z. B. § 12 BImSchG
> Gibt es für den VA eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage,
so empfiehlt es
sich, in deren „Dunstkreis“ nach einer Ermächtigungsgrundlage
auch für die Nebenbestimmung
zu suchen. Nur wenn diese Suche erfolglos bleibt, sollte man zur allgemeinen
Regelung des § 36 VwVfG übergehen.
b) Im Übrigen: § 36 VwVfG
aa) Gebundener HauptVA, § 36 Abs. 1 VwVfG
> Gibt es keine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage und
besteht auf den Erlass
des VAs ein Anspruch, dann darf die Behörde nur dann eine Nebenbestimmung
dazu
erlassen, wenn diese sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen
des VAs
erfüllt werden. Der Erlass der Nebenbestimmung ist in das pflichtgemäße
Ermessen
der Behörde gestellt.
> In der Klausur ist an dieser Stelle zu prüfen, ob der VA ohne
die fragliche Nebenbestimmung
rechtswidrig wäre und deshalb nicht erlassen werden dürfte.
16
bb) HauptVA im Ermessen, § 36 Abs. 2 VwVfG
> Hier ist auch der Erlass der Nebenbestimmung in das pflichtgemäße
Ermessen der
Verwaltung gestellt; der Ermessensspielraum der Behörde ist jedoch
weiter als im Fall
des Abs. 1.
3. Formelle Rechtmäßigkeit der Nebenbestimmung
> Zuständigkeit, Verfahren, Form. Meist werden die Voraussetzungen
mit denen des
HauptVAs übereinstimmen; manchmal mag es vorkommen, dass z. B. eine
Anhörung nur
bezüglich des HauptVAs, nicht aber bezüglich der Nebenbestimmung
stattgefunden hat.
4. Materielle Rechtmäßigkeit der Nebenbestimmung
a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
b) Sachlicher Zusammenhang mit der Hauptregelung
> Die Verwaltung darf nicht dem Adressaten eines VAs durch Nebenbestimmung
Pflichten auferlegen, die mit der Sachregelung des HauptVAs in keinerlei
Zusammenhang
stehen (Koppelungsverbot). Es handelt sich hierbei um eine spezielle Verhältnismäßigkeitsregel.
c) Keine Zweckwidrigkeit der Nebenbestimmung, § 36 Abs. 3 VwVfG
> „Eine Nebenbestimmung darf dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht
zuwiderlaufen.“
Auch dies ist eine spezielle Ausformung des Verhältnismäßigkeitsgebots.
d) Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
> Bestimmtheit, keine Ermessensfehler, Verhältnismäßigkeit,
kein Verstoß gegen
sonstiges Recht
Exkurs: Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen (isolierte Anfechtung?)
> Umstritten ist, ob Nebenbestimmungen vom Hauptverwaltungsakt isoliert
mit einer
(Teil-)Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO angefochten
werden können, oder
ob stattdessen eine Verpflichtungsklage auf Erteilung eines neuen Verwaltungsaktes
ohne
belastende Nebenbestimmungen erhoben werden muss. Der folgende Streit
ist in der Klausur
(in gebotener Kürze) unter dem Prüfungspunkt „statthafte
Klageart“ darzustellen.
1. Auffassung: Keine auf die Nebenbestimmung beschränkte Anfechtungsklage.
Kläger
verlange immer ein „Mehr“ als er habe, deshalb ausschließlich
Verpflichtungsklage.
Gegenargumente: Wortlaut von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO („soweit“)
erlaubt Teilaufhebung
und Teilanfechtung. (Teil-)Anfechtungsklage ist im Verhältnis zur
Verpflichtungsklage
spezieller, da das Gericht den angegriffenen Teil des Verwaltungsaktes
(die Nebenbestimmung)
selbst aufheben kann, während es bei einer Verpflichtungsklage die
Behörde
dazu verurteilt, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen.
2. Auffassung („h. M.“): Nebenbestimmungen sind grundsätzlich
mit einer isolierten Anfechtungsklage
angreifbar. Umstritten sind allerdings die Voraussetzungen im Einzelnen.
a. Differenzierung nach der Art des Hauptverwaltungsaktes: Beinhaltet
der Verwaltungsakt
eine gebundene Entscheidung, so lasse sich über dessen rechtmäßigen
Bestand isoliert
entscheiden, mit der Folge, dass auch eine Nebenbestimmung isoliert aufhebbar
sei.
Stehe der Hauptverwaltungsakt dagegen im Ermessen der Behörde, könne
deren Ermessensspielraum
durch die Aufdrängung eines „ungewollten Rest-Verwaltungsaktes“
unzulässig
verkürzt werden. Anderes gelte nur, wenn der Ermessenspielraum der
Behörde auf
Null reduziert sei.
17
Gegenargumente: Im Einzelfall kann auch bei einer gebundenen Entscheidung
der Restverwaltungsakt
ohne die angegriffenen Nebenbestimmungen allein nicht mehr mit der
Rechtsordnung in Einklang stehen. Das Differenzierungskriterium „Ermessen“
ist damit
bei der Frage nach der zulässigen Klageart ungeeignet.
b. Differenzierung nach der Art der Nebenbestimmung: Befristungen, Bedingungen
und Widerrufsvorbehalte seien nicht isoliert angreifbar, Auflagen und
Auflagenvorbehalte
dagegen schon. Gegenstand einer Anfechtungsklage müsse in jedem Fall
eine selbständige,
logisch oder prozessual vom Hauptverwaltungsakt trennbare Regelung sein.
Auch der
Wortlaut des § 36 Abs. 2 VwVfG NW unterscheide zwischen Auflagen
und Auflagenvorbehalten
auf der einen und sonstigen Nebenbestimmungen auf der anderen Seite („kann
erlassen
werden mit“ bzw. „kann verbunden werden mit“), was für
diese Differenzierung
spreche.
Gegenargumente: Es ist zweifelhaft, ob der Wortlaut des § 36 Abs.
2 VwVfG NW allein
genügend Anhaltspunkte liefert, um eine unterschiedliche prozessuale
Behandlung zu
rechtfertigen. Ein Restverwaltungsakt ohne die angegriffene Auflage kann
auch für sich
genommen nicht mehr mit der Rechtsordnung in Einklang stehen. Differenzierung
zwischen
der Art der Nebenbestimmung ist kein adäquates Kriterium.
c. Teilbarkeit: Isolierte Anfechtbarkeit einer Nebenbestimmung nur dann,
wenn diese eine
selbständige Regelung darstellt, die nicht die Wirksamkeit der Genehmigung
berühre bzw.
vom Hauptverwaltungsakt im logischen Sinne (prozessual) teilbar sei. D.
h. nur dann,
wenn der Restverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung selbständig
bestehen könne, oder
durch die Teilaufhebung keine völlig andere Bedeutung erlange, als
ihm ursprünglich
zukam. Für diese Auffassung spricht, dass sie als Kriterium für
die Teilanfechtung die Frage
stellt, ob der verbleibende Restverwaltungsakt auch ohne die Nebenbestimmung
noch
rechtmäßig sein kann.
Gegenargument: Die Beantwortung dieser Frage gehört in die Begründetheitsprüfung,
nicht in die Zulässigkeit.
d. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, NVwZ 2001, 429 ff.): Jede Nebenbestimmung
ist grundsätzlich anfechtbar. Bei dem Vorgehen gegen eine Auflage
handele es sich um einen
Fall einer isolierten Anfechtungsklage, bei dem Vorgehen gegen eine Bedingung
oder
eine Befristung um einen Fall einer Teilanfechtung. Die Frage, ob der
Hauptverwaltungsakt
sinnvoller- und rechtmäßigerweise ohne die Nebenbestimmung
bestehen kann, sei eine
Frage der Begründetheit. Ausnahmen von diesem Grundsatz
könnten nur da gemacht werden,
wo eine Trennbarkeit offensichtlich von vorneherein ausscheide. Diese
Auffassung
berücksichtigt alle Kritikpunkte an den übrigen Auffassungen
und ermöglicht eine saubere
und übersichtliche Prüfung. Ihr ist deshalb zweckmäßigerweise
zu folgen.
> Beachte: Folgt man der Auffassung des BVerwG, so muss der
Obersatz der Begründetheitsprüfung
folgendermaßen lauten: „Die Anfechtungsklage ist begründet,
soweit die angegriffenen
Nebenbestimmungen rechtswidrig sind, der Kläger dadurch in eigenen
Rechten
verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sowie die nach der Kassation
der Nebenbestimmung
verbleibende Restregelung rechtmäßigerweise bestehen bleiben
kann.“
Zur Vor- und Nachbereitung:
Peine, Rn. 497 – 537
Braun/Kettner Verwaltungsrundschau 2005, 25
IX. Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, § 48 VwVfG
[am Beispiel
der Begründetheitsprüfung einer Anfechtungsklage]
> Zur Terminologie: „Aufhebung“ ist der Oberbegriff, „Rücknahme“
ist der Terminus für
die Aufhebung rechtswidriger VAe nach § 48, „Widerruf“
für die Aufhebung rechtmäßiger
VAe nach § 49 VwVfG durch die Behörde. Davon zu unterscheiden
ist die Aufhebung
18
durch die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsverfahren und durch
das VG im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren. Dort spricht man einfach von „Aufhebung“ (oder
„Kassation“).
Die Aufhebung nach §§ 48, 49 VwVfG ist auch nach Eintritt der
Bestandskraft (Ablauf
der Rechtsmittelfristen, Unanfechtbarkeit) möglich (siehe Wortlaut).
Neuere Rechtsprechung:
- OVG Münster, NVwZ 2006, 106 ff.
1. Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme
a) Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage
> Gibt es für den VA eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage,
so empfiehlt es
sich, in deren „Dunstkreis“ nach einer Ermächtigungsgrundlage
auch für die Rücknahme
zu suchen. Wenn diese Suche erfolglos bleibt, sollte man zur allgemeinen
Regelung
des § 48 Abs. 1 VwVfG übergehen.
b) Im Übrigen: § 48 Abs. 1 VwVfG
> Anwendungsvoraussetzung des § 48 Abs. 1 VwVfG ist, dass der
Verwaltungsakt
rechtswidrig ist. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist grundsätzlich
der Erlass des
VAs. D. h. ein VA, der bei Erlass rechtmäßig war, kann nur
nach § 49 VwVfG aufgehoben
werden, auch wenn sich später die Umstände ändern und der
Erlass eines solchen
VAs später rechtswidrig wäre. Ausnahmen: Wird ein Gesetz, auf
dem der VA
beruht, rückwirkend aufgehoben, so wird auch der VA rückwirkend
rechtswidrig, so
dass § 48 anwendbar ist. Ist der VA auf laufende staatliche Geldleistungen
gerichtet
und fallen nach einiger Zeit, in der schon Zahlungen geleistet wurden,
die Voraussetzungen
für den VA weg, ist die Rücknahme nach § 48 nur vom Zeitpunkt
des Wegfalls
an möglich (BVerwGE 84, 111, 113).
2. Formelle Rechtmäßigkeit der Rücknahme
> Zuständigkeit (Die Zuständigkeit zur Aufhebung
eines VAs hat die Behörde, die zum
Zeitpunkt der Aufhebung für dessen Erlass zuständig wäre;
§ 48 Abs. 5 VwVfG; in aller
Regel wird das dieselbe Behörde sein, die den VA erlassen hat.),
Verfahren (Anhörung bezüglich der Aufhebung! – Verstoß
ggf. heilbar), Form.
3. Materielle Rechtmäßigkeit der Rücknahme
a) Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden VA
> sollte schon bei der Bestimmung der Ermächtigungsgrundlage geprüft
werden, s. o.
b) Rücknahme rechtswidriger belastender VAe: § 48 Abs. 1 Satz
1 VwVfG
> Ohne weitere Voraussetzungen möglich. Die Rücknahme steht
im Ermessen der
Verwaltung; nur die Rechtswidrigkeit des VAs reduziert das Ermessen nicht
auf Null
(BVerwG NVwZ 2000, 202). Eine Ermessensreduzierung auf Null (Anspruch
des Adressaten
auf Rücknahme) kommt aus Verhältnismäßigkeitsgründen
dann in Betracht,
wenn die Aufrechterhaltung des VAs eine unzumutbare Belastung für
den Bürger darstellen
würde. Achtung! Wenn der belastende VA einen Dritten begünstigt,
müssen
dessen Interessen in der Abwägung berücksichtigt werden.
19
c) Rücknahme rechtswidriger begünstigender VAe: Beachtung der
Voraussetzungen
des § 48 Abs. 2–4 VwVfG
aa) Rücknahmeverbot für sog. Leistungsbescheide, § 48 Abs.
2 VwVfG
> Rücknahme der in Abs. 2 (gründlich lesen!!!) genannten
VAe ist nur möglich, wenn
und soweit kein schutzwürdiges Vertrauen des Adressaten vorliegt.
(1) Reichweite des Vertrauens: In aller Regel wird der Adressat auf den
Bestand des
ganzen VAs vertraut haben, es sei denn, er hatte vom VA noch keine Kenntnis
oder es
liegen sonst Umstände vor, aufgrund derer er mit einer Rückforderung
rechnete.
(2) Schutzwürdigkeit des vorhandenen Vertrauens:
- Nicht, wenn einer der Ausschlusstatbestände des § 48 Abs.
2 Satz 3 erfüllt ist. Für
Satz 3 Nr. 2 kommt es auf Verschulden des Begünstigten nicht an.
Für Nr. 3 genügt es,
wenn sich dem Adressaten die Rechtswidrigkeit des VAs hätte aufdrängen
müssen.
Folge bei Vorliegen der Voraussetzungen des Satzes 3: starke Reduzierung
des Rücknahmeermessens
dahingehend, dass i. d. R. ex tunc zurückgenommen werden muss
(Abs. 2 Satz 4).
- Schutzwürdiges Vertrauen wird von § 48 Abs. 2 Satz 2 vermutet,
wenn es zur Vertrauensbetätigung
im Sinne dieser Vorschrift gekommen ist. (Prüfungsreihenfolge:
Zuerst Satz 3 durchprüfen; wenn keine dieser Fallgruppen vorliegt,
ist Satz 2 zu prüfen).
Kein Verbrauch und keine Vermögensdisposition liegt vor, wenn die
durch den
VA gewährte Leistung wirtschaftlich gesehen in irgendeiner Weise
noch im Vermögen
des Adressaten vorhanden ist, z. B. in Form von gekauften Gegenständen
oder
Schuldbefreiung durch getilgte Forderungen.
(3) Abwägung mit dem öffentlichen Interesse (§ 48 Abs.
2 Satz 1 am Ende): Ist das
Vertrauen des Adressaten nicht schutzwürdig, überwiegt in aller
Regel das öffentliche
Interesse an der Rücknahme. Etwas anderes kann sich z. B. aufgrund
folgender Aspekte
ergeben: Interessen des Adressaten, der Allgemeinheit und Dritter, Grad
der
Rechtswidrigkeit des VAs.
> Rechtsfolge: Rücknahme (soweit Vertrauen nicht schutzwürdig)
ist in das Ermessen
der Behörde gestellt, kann aber eingeschränkt sein (§ 48
Abs. 2 Satz 4). Nimmt die
Behörde zurück, ist § 49a VwVfG zu beachten, s. u. Exkurs
nach X.
bb) Entschädigungsgebot für sonstige VA, § 48 Abs. 3 i.
V. m. Abs. 1 Satz 1 VwVfG
> Begünstigende VAe, die nicht unter Abs. 2 fallen (Bsp.: Baugenehmigungen
oder
Prüfungsentscheidungen), können nach § 48 Abs. 1 Satz 1
zurückgenommen werden,
d. h. die Behörde trifft eine Ermessensentscheidung (in deren Rahmen
Vertrauensgesichtspunkte
ebenso zu berücksichtigen sind wie andere schutzwürdige Interessen).
Nimmt die Behörde den VA zurück, gilt Abs. 3: Hat sich bei dem
Adressaten ein
schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des VAs gebildet, hat die
Behörde ihm
Vermögensnachteile auszugleichen, die dadurch entstanden sind. Die
Entscheidung
über den Ausgleichsanspruch ist zu trennen von der Rücknahmeentscheidung.
Bei der
Prüfung von § 48 Abs. 3 sind dieselben Schritte vorzunehmen
wie bei Abs. 2: (1)
Reichweite des Vertrauens; (2) Schutzwürdigkeit, (a) Ausschlussgründe
(Verweis auf
Abs. 2 Satz 3 in Abs. 3 Satz 2), (b) Vertrauensbetätigung (auch wenn
Abs. 3 Satz 2
darauf nicht ausdrücklich verweist. Der Ausgleichsanspruch ist auf
das negative Interesse
begrenzt (§ 48 Abs. 3 Satz 3), d. h. der Adressat ist so zu stellen,
als ob der VA
nicht erlassen worden wäre. Obergrenze ist das positive Interesse,
d. h. der Adressat
darf durch den Ausgleich nicht besser gestellt werden, als wenn der VA
noch bestünde.
Die Behörde setzt den Ausgleichsanspruch durch VA fest, Abs. 3 Satz
4. Beachte:
Frist des Abs. 3 Satz 5.
20
cc) Beachtung der Rücknahmefrist, § 48 Abs. 4 VwVfG
> Nur bei begünstigenden VAen (siehe § 48 Abs. 1 Satz 2).
> Gilt nicht im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 (Abs. 4 Satz
2).
> Fristbeginn: problematisch und streitig. Gesetzeswortlaut:
Mit positiver Kenntnis der
Behörde von den Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigen (wenn
das vor dem Erlass
des VAs war, dann mit Erlass). Kennenmüssen genügt nicht (hierzu
und zum Folgenden:
BVerwGE 70, 356). Maßgebliche Behörde ist (nur) die Stelle,
die über die
Rücknahme zu entscheiden hat (BVerwG NVwZ 2001, 672). Erst die vollständige
Kenntnis des gesamten für die Rücknahme erheblichen Sachverhalts
– inklusive der
für den Vertrauensschutz und die Ermessensausübung relevanten
Umstände – begründet
„Kenntnis“. Gleiches gilt, wenn die Behörde
maßgebliche Umstände nicht hinreichend
berücksichtigt oder rechtlich falsch gewürdigt hat. Unklar ist
weiterhin, ob alleinige
Tatsachenkenntnis genügt (so BVerwG JuS 1997, 379) oder ob die Behörde
zusätzlich die Rechtswidrigkeit erkennen muss (so BVerwGE 70, 356).
> Entscheidungsfrist (keine Bearbeitungsfrist, str.). D. h. durch den
Beginn neuer Ermittlungen
durch die Behörde kann der Fristbeginn hinausgezögert werden.
> Zur Verwirkung der Rücknahmebefugnis BVerwG NJW 2000, 1512.
> Die Frist gehört hier ausnahmsweise zur materiellen, nicht zur
formellen Rechtmäßigkeit.
d) Keine Ermessensfehler
> Wie immer bei Ermessensentscheidungen (s. o.).
4. Verhältnis des § 48 VwVfG zum Europäischen Gemeinschaftsrecht
> Problematik v. a. im Zusammenhang mit Subventionsbescheiden und dem
Beihilfenverbot
des Art. 87 EG und der Notifizierungspflicht des Art. 88 Abs. 3 EG. Erst
wenn die EGKommission eine staatlichen Beihilfe genehmigt hat, darf diese
gewährt werden. Verpflichtet die Kommission einen Mitgliedstaat,
eine nicht notifizierte, EG-rechtswidrige
Beihilfe zurückzufordern, so richtet sich (in Ermangelung EG-rechtlicher
Spezialvorschriften)
im deutschen Recht die Rückgängigmachung nach §§ 48
ff. VwVfG. Dabei ist der
Anwendungsvorrang des EG-Rechts zu berücksichtigen.
> Ein Subventionsbescheid, der gegen Art. 87 EG verstößt,
ist materiell rechtswidrig.
Wurde die Beihilfe nicht nach Art. 88 Abs. 3 EG notifiziert, ist der Bescheid
zudem formell
rechtswidrig. D. h. anwendbar ist § 48 VwVfG, genauer gesagt dessen
Abs. 2, da es
sich um einen Leistungsbescheid handelt.
> Prüfung des § 48 Abs. 2 VwVfG (siehe obiges Schema):
- Zunächst ist zu prüfen, ob der Empfänger tatsächlich
auf den Bestand des LeistungsVAs
vertraut hat.
- Ist das der Fall, muss die Frage gestellt werden, ob dieses Vertrauen
schutzwürdig ist.
Das wäre nicht der Fall, wenn einer der Ausschlussgründe des
§ 48 Satz 3 eingriffe. In Betracht
kommt Satz 3 Nr. 3 (2. Alt.): Der Empfänger könnte die formelle
Rechtswidrigkeit
des VAs grob fahrlässig verkannt haben, indem er sich nicht vergewisserte,
ob das Notifizierungsverfahren
gemäß Art. 88 Abs. 3 EG durchgeführt wurde. Das ist zu
verneinen: Die
Notifizierungspflicht trifft die staatliche Behörde, die die Beihilfe
gewähren will, nicht den
Empfänger. Im Normfall ist eine Erkundigungspflicht des Empfängers
zu verneinen, insbes.,
wenn es sich um ein kleines oder mittelständisches Unternehmen handelt.
Unter Umständen
könnte man argumentieren, dass bei sehr großen Unternehmen
(mit eigenen
Rechtsabteilungen) eine Erkundigungspflicht besteht. Das ist str. und
kann gut vertretbar
verneint werden. Jedenfalls wird sich die grobe Fahrlässigkeit des
Empfängers in aller Regel
nicht auf die materielle Rechtswidrigkeit der Beihilfe erstrecken, so
dass insoweit kein
Ausschlussgrund greift.
21
- Daher muss nun § 48 Abs. 2 Satz 2 geprüft werden: Ist der
Sachverhalt so gelagert, dass
der Empfänger die Subvention verbraucht hat und deren Wert nicht
mehr in seinem Vermögen
vorhanden ist, dass also die Betätigung des Vertrauens stattgefunden
hat, ist dieses
schutzwürdig. An sich wäre die Rechtsfolge, dass die Rücknahme
des SubventionsVAs
nicht möglich wäre.
- Dies wäre aber nicht vereinbar mit dem Anwendungsvorrang des EG-Rechts.
Hier
kommt die Klausel des § 48 Abs. 2 Satz 1 am Ende zum Tragen, dass
die Schutzwürdigkeit
des Vertrauens unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit dem öffentlichen
Interesse steht.
Das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des vorrangig anwendbaren
EG-Rechts ist
so überragend hoch, dass die Schutzwürdigkeit des Vertrauens
des Empfängers in aller
Regel weichen muss. Auf diesem Wege kommt man zu dem Ergebnis, dass der
Subventionsbescheid
doch zurückgenommen werden kann.
- Es steht nun noch die Ermessensentscheidung der Rücknahmebehörde
aus: Hat die EGKommission
bestandskräftig festgestellt, dass die Beihilfe EG-rechtswidrig und
zurückzufordern
ist, so ist dadurch das Rücknahmeermessen der Behörde auf Null
reduziert.
> Der Anwendungsvorrang des EG-Rechts beeinflusst auch die Geltung
des § 48 Abs. 4
Satz 1 VwVfG: Auch wenn die Jahresfrist verstrichen ist, verpflichtet
eine bestandskräftige
Kommissionsentscheidung die Behörde zur Rücknahme.
> Dasselbe gilt für den Entreicherungseinwand des § 49a Abs.
2 VwVfG: auch dieser ist
ausgeschlossen. Vgl. dazu unten Exkurs nach X.
> Ist die Beihilfe nur formell rechtswidrig (wegen fehlender Notifikation),
materiell aber
mit Art. 87 EG vereinbar, so ist streitig, ob dadurch schon eine Rücknahmepflicht
der Behörde
entsteht. Dagegen spricht z. B., dass nach Ansicht des EuGH die Kommission
eine
nationale Behörde nur zur Rückforderung einer Beihilfe verpflichten
darf, wenn diese auch
materiell EG-rechtswidrig ist (EuGH Slg. 1996, I-3547, 3591, Rn. 43).
Für neuere Fälle
hilft Art. 11 Abs. 2 EG-BeihilfeverfahrensVO (i. V. m. Art. 89 EG): Die
Kommission kann
die einstweilige Rückforderung der Beihilfe bis zur Beendigung des
Notifizierungsverfahrens
anordnen; dann gilt das oben Gesagte, und die nationale Behörde muss
zurücknehmen.
Ordnet die Kommission die Rückforderung nicht an, gelten die allgemeinen
Regeln,
d. h. die Rücknahme steht im Ermessen der Behörde, und diese
kann beispielsweise von
der Rücknahme absehen, bis das Notifizierungsverfahren beendet und
die EGRechtswidrigkeit
oder -Rechtmäßigkeit der Beihilfe verbindlich festgestellt
ist.
Zur Vor- und Nachbereitung: Peine, Rn. 907 – 956
zu 4: Maurer, § 11, Rn. 38a – 38d; Detterbeck, Rn. 749 –
765
EuGH NVwZ 1990, 1161; EuZW 1997, 276 (Alcan I und II); EuGH EuZW 1998,
603 (Oelmühle);
EuGH NVwZ 2001, 310; EuGH DVBl. 2004, 373; EuG EuZW 2000, 115; BVerwGE
92, 81; 106,
328 (Alcan); BVerwG NVwZ 1995, 703; BGH EuZW 2004, 255; EuZW 2003, 445.
X. Widerruf des rechtmäßigen Verwaltungsaktes, § 49 VwVfG
[am Beispiel der
Begründetheitsprüfung einer Anfechtungsklage]
> § 49 gilt dem Wortlaut nach nur für rechtmäßige
VAe, wird nach allgemeiner Ansicht aber
auch auf rechtswidrige VAe angewendet (Erst-recht-Schluss).
1. Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf
a) Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage
> Auch beim Widerruf ist zunächst zu überlegen, ob es eine
spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage
gibt, bevor man zur allgemeinen Regel übergeht.
Neuere Rechtsprechung:
- BVerwG, NVwZ 2006, 707 ff.
22
b) Im Übrigen: § 49 VwVfG
aa) Aufzuhebender VA ist nicht begünstigend, § 49 Abs. 1 VwVfG
> Wortlaut: nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc), kein Widerruf,
wenn VA gleichen
Inhalts sofort wieder erlassen werden müsste (z. B. bei Ermessensreduzierung
auf Null oder Selbstbindung der Verwaltung), kein Widerruf, wenn andere
„Gründe“
(Rechtsnormen, auch Verwaltungsvorschriften, auch Normzweckerwägungen,
auch
allgemeine Rechtsgrundsätze) es nicht zulassen.
> Ermessensentscheidung (insbes. Verhältnismäßigkeit!
– gibt es mildere Mittel?).
> Hauptanwendungsfall: Änderung der Sach- und Rechtslage dahingehend,
dass der
ursprünglich rechtmäßige VA nun nicht mehr erlassen werden
dürfte.
bb) Aufzuhebender VA ist begünstigend, § 49 Abs. 2 VwVfG
> Abschließender Katalog von Widerrufsgründen:
> Nr. 1 – Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder Widerrufsvorbehalt
(vgl.
VIII. 1. c). Bsp. für Rechtsvorschrift: § 12 Abs. 2 Satz 2 BImSchG.
Der Widerruf
muss mit dem Gesetzeszweck in Einklang stehen. Der Widerrufsvorbehalt
muss seinerseits
rechtmäßig sein, der Widerruf muss ggf. den Voraussetzungen
und dem
Zweck des Widerrufsvorbehaltes genügen (sonst Ermessensfehler).
> Problem: rechtswidriger, aber bestandskräftiger Widerrufsvorbehalt.
BVerwG: Behörde
kann grundsätzlich widerrufen (BVerwG NVwZ-RR 1994, 580). Die Schwere
der Rechtswidrigkeit des Widerrufsvorbehaltes ist aber im Rahmen des Ermessens
in
die Abwägung einzustellen, was zu einer erheblichen Ermessensreduzierung
führen
kann. Str.
> Nr. 2 – Nichterfüllung einer Auflage (vgl. VIII. 1. d).
Verschuldensunabhängig.
Normalerweise Fristsetzung und Androhung des Widerrufs nicht mehr nötig,
kann aber
wegen der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein (Einzelfall).
Verhältnismäßigkeit:
Insbes. Erforderlichkeit – bevor der Widerruf erfolgt, muss die
zwangsweise Durchsetzung
der Auflage versucht werden. Widerruf nur ultima ratio. Bei sehr unwesentlichen
Auflagen kann Widerruf unverhältnismäßig sein. Rechtswidrige,
aber bestandskräftige
Auflage: wie beim Widerrufsvorbehalt.
> Nr. 3 – nachträgliche Änderung der Sachlage + Gefährdung
des öffentlichen Interesses
ohne den Widerruf. Kein nachträgliches Bekanntwerden bereits vorher
vorhandener
Umstände. Nr. 3 gilt nicht, wenn ein VA seinem Zweck nach „änderungsresistent“
sein soll (Bsp.: Staatsexamen, Baugenehmigung). Öffentliches Interesse:
z. B.
Rechtsinteressen, auch fiskalische Interessen.
> Nr. 4 – Änderung von Rechtsvorschriften + kein Gebrauchmachen
vom VA + Gefährdung
des öffentlichen Interesses ohne den Widerruf. Keine Änderung
von Verwaltungsvorschriften
oder Verwaltungspraxis. Keine rückwirkende Änderung von
Rechtsvorschriften oder Nichtigerklärung einer Ermächtigungsgrundlage
(dann § 48).
Keine Änderung der Rechtsprechung (dann auch evtl. § 48, str.
bei höchstrichterlicher
Rechtsprechung). Anders als Nr. 3 berücksichtigt Nr. 4 Vertrauensschutz.
> Nr. 5 – Verhütung oder Beseitigung schwerer Nachteile
für das Gemeinwohl. „Besondere,
erhebliche, überragende Interessen der Allgemeinheit“. Nur
wenn keiner der
anderen Widerrufsgründe eingreift, nur für Extremfälle,
äußerst restriktiv auszulegen.
cc) Aufzuhebender VA ist ein Subventionsbescheid, § 49 Abs. 3 VwVfG
> Für Subventionsbescheide ist § 49 Abs. 3 die Spezialregelung;
wenn ihre Voraussetzungen
nicht erfüllt sind, ist aber auch Abs. 2 zu prüfen. Beachte:
Abs. 3 lässt einen
Widerruf auch ex tunc zu, Abs. 2 nur ex nunc!
23
> § 49 Abs. 3 enthält zwei Widerrufsgründe: Nr. 1 –
zweckwidrige Verwendung der
Leistung; Nr. 2 – Nichterfüllung einer Auflage.
2. Formelle Rechtmäßigkeit des Widerrufs
> Zuständigkeit (Die Zuständigkeit zur Aufhebung eines VAs
hat die Behörde, die zum
Zeitpunkt der Aufhebung für dessen Erlass zuständig wäre;
§ 49 Abs. 5 VwVfG; in aller
Regel wird das dieselbe Behörde sein, die den VA erlassen hat.),
Verfahren (Anhörung bezüglich
der Aufhebung! – Verstoß ggf. heilbar), Form.
3. Materielle Rechtmäßigkeit des Widerrufs (im Fall des §
49 Abs. 2/Abs. 3 VwVfG)
a) Vorliegen eines der in § 49 Abs. 2/Abs. 3 VwVfG genannten Widerrufsgründe
> Dazu oben 1. b) und c).
b) Keine Ermessensfehler
> Wie immer bei Ermessensentscheidungen.
c) Beachtung der Rücknahmefrist, § 49 Abs. 2 Satz 2/Abs. 3 Satz
2 i. V. m. § 48
Abs. 4 VwVfG
> Siehe oben; vgl. zusätzlich BVerwGE 112, 360.
Zur Vor- und Nachbereitung: Peine, Rn. 957 – 985
Exkurs: Die Rückforderung nach § 49a VwVfG
> Spezielle Ausformung des öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs,
aber nur in Form eines
Anspruchs der Verwaltung gegen den Bürger, nicht umgekehrt (BVerwG
NJW 1999, 1201).
> Anwendbar bei Aufhebung eines VAs ex tunc oder Unwirksamkeit durch
Eintritt einer auflösenden
Bedingung (Wortlaut § 49a Abs. 1).
> Nicht anwendbar bei Aufhebung eines VAs im Vorverfahren (§§
68 ff. VwGO) oder durch
das VG. Auch nicht bei Rückabwicklung von öffentlichrechtlichen
Verträgen.
> Besteht ein Erstattungsanspruch nach § 49a Abs. 1 Satz 1, ist
die Behörde verpflichtet (kein
Ermessen!), die zu erstattende Leistung nach § 49a Abs. 1 Satz 2
durch VA festzusetzen.
Grundsätzlich gibt es also zwei VAe: 1) den Aufhebungsbescheid, 2)
den Rückforderungsbescheid.
Ergeht nur letzterer, so ist darin auch ein konkludenter Aufhebungsbescheid
zu sehen.
> Anspruchsprüfung erfolgt entsprechend dem BGB-Bereicherungsrecht
(§§ 812 ff. BGB), unter
Beachtung des § 49a Abs. 2 bis 4:
- Etwas erlangt aufgrund Leistung der Verwaltung: Die aufgrund des Leistungsbescheides
(=
bewusste, zweckgerichtete Mehrung des Vermögens des Empfängers
durch die Verwaltung) erlangten
Vorteile.
- Ohne Rechtsgrund: Der aufgehobene Leistungsbescheid war der Rechtsgrund,
er ist nun weg.
- Grundsätzlich gilt § 818 Abs. 3 BGB (Entreicherungseinwendung),
allerdings mit der Modifikation
des § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (lesen).
- § 49 Abs. 3 und 4 regeln Zinsansprüche.
> Die Rechtsprechung wendet § 49a auch auf Erstattungsansprüche
zwischen verschiedenen
Hoheitsträgern an (OVG Münster NWVBl. 2004, 214). Dabei ist
zu beachten, dass die öffentliche
Hand sich nicht auf die Enteicherungseinwendung berufen kann.
Neuere Rechtsprechung:
- BVerwG, NVwZ 2005, 964 ff.
- BVerwG, NVwZ 2006, 480
Zur Vor- und Nachbereitung: Detterbeck, Rn. 729 – 733
24
XI. Wiederaufgreifen des Verfahrens, § 51 VwVfG [am Beispiel der
Zulässigkeit
und Begründetheit eines Antrages auf Wiederaufgreifen des Verfahrens]
> § 51 gibt dem Bürger unter bestimmten Voraussetzungen einen
Anspruch auf Neuentscheidung
über einen unanfechtbaren VA. Also kein Ermessen der Behörde!
> Durchbrechung der Bestandskraft von VAen (Prinzip der Rechtssicherheit)
zugunsten der
materiellen Gerechtigkeit (Prinzip der Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung).
1. Zulässigkeit des Antrags
a) Unanfechtbarer VA
b) Fristgemäßer Antrag, § 51 Abs. 3 VwVfG: 3 Monate ab
Kenntnis des Wiederaufgreifensgrundes
c) Vortrag des Antragstellers, wonach möglicherweise ein Wiederaufgreifensgrund
nach
§ 51 Abs. 1 vorliegt (ähnlich wie Klagebefugnis: „Möglichkeitstheorie“,
d. h. es wird
hier noch nicht geprüft, ob der Wiederaufgreifensgrund tatsächlich
vorliegt; das ist eine
Frage der Begründetheit des Antrags)
d) Zuständigkeit der Behörde, § 51 Abs. 4 VwVfG
e) Keine Präklusion, § 51 Abs. 2 VwVfG: „wenn der Betroffene
ohne grobes Verschulden
außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem
früheren Verfahren,
insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen“.
2. Begründetheit des Antrags
Tatsächliches Vorliegen eines Wiederaufgreifensgrundes, § 51
Abs. 1 VwVfG
a) Nr. 1 – Nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage
zugunsten des Betroffenen
> Änderung der Sachlage: Das BVerwG stellt der tatsächlichen
Änderung von Tatsachen
die geänderte objektive Erkennbarkeit von Tatsachen gleich (BVerwGE
115,
274, 281).
> Änderung der Rechtslage: Aufhebung von Rechtsnormen durch den
Normgeber,
nicht Ungültigerklärung von Rechtsnormen durch ein Gericht (das
ist nur eine Feststellung,
keine Änderung). Auch nicht: Änderung der Behördenpraxis
oder Rechtsprechung.
b) Nr. 2 – Neue, für den Betroffenen günstige Beweismittel
> Alte Tatsachen, die beim VA-Erlass schon da waren (dem Adressaten
aber nicht bekannt
oder beweisbar), aber neue Beweismittel, so dass der Adressat des VAs
die Tatsachen
jetzt erkennen oder beweisen kann.
c) Nr. 3 – Wiederaufgreifensgründe entspr. § 580 ZPO
> Lesen!!
3. Rechtsfolge: Neue Entscheidung in der Sache (Zweitbescheid)
> Achtung! Ist der Antrag nach § 51 zulässig und begründet,
dann folgt daraus ein Anspruch
des Bürgers auf neue Entscheidung in der Sache durch die Behörde,
NICHT automatisch
auch auf Aufhebung des VAs!!! Ob der VA aufgehoben wird oder nicht, ist
vielmehr
Ergebnis des erneuten Verfahrens, das die Behörde durchführt.
Verbindet der Antragsteller
mit dem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens den Antrag auf Aufhebung
des VAs (was er in der Regel tun wird), dann ist weiter zu prüfen:
4. Neues Verfahren und Zweitbescheid
> Umstritten ist, welchen Prüfungsmaßstab die Behörde
nun anlegen muss.
25
1. Auff.: Der VA wird – wie beim Neuerlass – komplett überprüft,
d. h. Ermächtigungsgrundlage
– formelle Rechtmäßigkeit – materielle Rechtmäßigkeit.
Dürfte sie den VA erneut
erlassen, so bleibt er bestehen, sonst muss er aufgehoben werden.
2. Auff.: Grundsätzlich muss auch komplett die Rechtmäßigkeit
des VAs überprüft werden,
aber es gelten die Maßstäbe der §§ 48, 49 VwVfG,
d. h. die Aufhebung steht nach
Maßgabe dieser Vorschriften im pflichtgemäßen Ermessen
der Behörde. (Dagegen spricht
grundsätzlich, dass die §§ 48, 49 unabhängig und gleichberechtigt
neben § 51 angewendet
werden können, vgl. § 51 Abs. 5; wenn derselbe Maßstab
gälte, wäre dieses Nebeneinander
überflüssig.)
3. Der VA wird – wie beim Neuerlass – komplett überprüft,
muss aber nur dann aufgehoben
werden, wenn er gerade in Bezug auf einen der Wiederaufgreifensgründe
des § 51
VwVfG rechtswidrig ist (BVerwG). Das stellt eine gute Balance zwischen
Bestandskraft
und materieller Gerechtigkeit her, denn der Antragsteller hat selbst in
der Hand, inwieweit
er durch den Wiederaufgreifensgrund an der Bestandskraft rüttelt.
Nach dieser Auff. wäre
auch ein rechtswidriger VA dann nicht aufzuheben, wenn die Rechtswidrigkeit
nicht in
Verbindung mit einem vom Antragsteller geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund
steht.
Neuere Rechtsprechung:
- BVerwG, NVwZ 2005, 462 ff. (Wiederaufgreifen eines Asylverfahrens)
Zur Vor- und Nachbereitung: Peine, Rn. 986 – 1017
XII. Der verwaltungsrechtliche Vertrag, §§ 54 ff. VwVfG [am
Beispiel der Begründetheitsprüfung
einer allgemeinen Leistungsklage]
Neuere Rechtsprechung:
- VGH Kassel, NVwZ-RR 2005, 680 ff.
- BVerwG, NVwZ 2005, 1083 ff.
- VG Braunschweig, NVwZ 2005, 1104
1. Anspruch aus verwaltungsrechtlichem Vertrag entstanden
a) Vorliegen eines verwaltungsrechtlichen Vertrags
aa) Vertragliche Regelung
> Einigung der Parteien (übereinstimmende Willenserklärungen
– auch die Behörde
gibt eine Willenserklärung ab), § 62 S. 2 VwVfG i. V. m. den
Vorschriften
des BGB) – diese Gegenseitigkeit unterscheidet den Vertrag vom einseitighoheitlichen
Handeln durch VA.
bb) Verwaltungsrechtlicher Vertragsgegenstand
> §§ 54 ff. VwVfG erfassen nur öffentlichrechtliche
Verträge mit verwaltungsrechtlichem
Gegenstand, d. h. solche, die die Begründung, Änderung oder
Aufhebung
eines verwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisses betreffen.
> Rechtsverhältnis ist die sich aus einem konkreten Sachverhalt
ergebende rechtliche
Beziehung eines Rechtssubjekts zu einem anderen Rechtssubjekt oder zu
einer
Sache.
> Die Definition des verwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisses
entspricht der
der „öffentlichrechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher
Art“ in § 40
Abs. 1 Satz 1 VwGO (dazu oben VI. 1.). Öffentlichrechtlicher Natur
ist ein Vertrag
dann, wenn er am Maßstab öffentlichrechtlicher Normen gemessen
wird; das
sind jedenfalls solche, die einen Träger öffentlicher Gewalt
als solchen berechtigen
oder verpflichten.
26
> Entscheidend ist der Gesamtcharakter des Vertrages (Rechtsprechung
des
BVerwG), d. h. ein öffentlichrechtlicher Vertrag liegt auch dann
vor, wenn einzelne
Bestimmungen privatrechtlicher Natur sind, der Schwerpunkt des Vertrages
aber im öffentlichen Recht liegt.
Exkurs: Andere Arten des öffentlichrechtlichen Vertrags
Öffentlichrechtlicher Vertrag ist der Oberbegriff; es gibt neben
dem verwaltungsrechtlichen
Vertrag noch andere Arten, auf die die §§ 54 ff. VwVfG nicht
anwendbar
sind:
> Völkerrechtlicher Vertrag; zwischen Rechtssubjekten des Völkerrechts
auf dem
Gebiet des Völkerrechts (vgl. Art. 32 Abs. 3, Art. 59 GG)
> Verfassungsrechtliche Verträge; Regelung auf dem Gebiet des
Verfassungsrechts
> Verwaltungsabkommen; Definition ist streitig (nur Regierungen von
Bund und
Ländern? – oder auch andere öffentlichrechtliche Organisationsformen,
z. B. Gemeinden?
– nur verwaltungsrechtliche Regelungsgegenstände? – oder
auch verfassungsrechtliche?)
> Staatskirchenverträge; regeln die Beziehungen zwischen Staat
und Religionsgemeinschaften,
Charakter im einzelnen str. Konkordate des Staates mit dem Hl.
Stuhl sind jedenfalls völkerrechtliche Verträge.
b) Zulässigkeit der Vertragsform
> Für manche Handlungen der Verwaltung ist der Vertrag als Handlungsform
ausdrücklich
durch Gesetz ausgeschlossen, in anderen Fällen ergibt sich ein solcher
Ausschluss
aus dem Sinn und Zweck einer Regelung. Bsp.: Beamtenernennung, Einberufung
zum Wehrdienst, Steuerfestsetzung, Prüfungsentscheidung. In manchen
Gebieten
ist es der Behörde sogar verboten, sich vertraglich zu verpflichten,
später einen VA
mit bestimmtem Inhalt zu erlassen. Bsp.: Beamtenrecht (BVerwGE 91, 200,
203),
Wehrdienstrecht, Prüfungsrecht (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG), Bauleitplanung
(§ 1 Abs. 3
Satz 2, 2. HS BauGB). Folge des Verstoßes: Nichtigkeit gemäß
§§ 59 Abs. 1, 54
Satz 1 VwVfG, 134 BGB.
c) Formelle Rechtmäßigkeit
aa) Zuständigkeit
> beurteilt sich nach den allgemeinen Regeln.
bb) Schriftform, § 57 VwVfG
> I. V. m. §§ 62 Satz 2 VwVfG, 126 BGB. Folge des Verstoßes:
Nichtigkeit gemäß
§§ 59 Abs. 1, 62 Satz 2 VwVfG, 125 Satz 1 BGB.
cc) Beteiligung Dritter bzw. anderer Behörden, § 58 VwVfG
> Schwebende Unwirksamkeit bis zur Zustimmung des Dritten oder der
anderen
Behörde.
d) Materielle Rechtmäßigkeit
> Nach § 54 Satz 1 VwVfG dürfen öffentlichrechtliche
Verträge nicht gegen Rechtsvorschriften
verstoßen. Die Rechtswidrigkeit öffentlichrechtlicher Verträge
führt aber
nicht automatisch zu deren Nichtigkeit. Der Vertrag ist nur dann nichtig,
wenn § 59
VwVfG das vorsieht; ansonsten bleibt die Rechtswidrigkeit folgenlos, und
der Vertrag
ist wirksam (ein Weg, den Vertrag dann aus der Welt zu schaffen, wäre
die Anfech27
tung nach §§ 142, 119 ff. BGB i. V. m. § 62 Satz 2 VwVfG).
Aus diesem Grund ist
zunächst § 59 Abs. 2 zu prüfen, sodann Abs. 1 (der auch
kumulativ mit Abs. 2 eingreifen
kann).
aa) Keine speziellen Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 2 VwVfG
> § 59 Abs. 2 Nr. 1 und 2 gelten für alle subordinationsrechtlichen
verwaltungsrechtlichen
Verträgen. Ein Vertrag ist dann nichtig, wenn ein entsprechender
VA
nichtig (§ 44 VwVfG) oder nicht nur wegen eines Verfahrens- oder
Formfehlers i.
S. d. § 46 VwVfG rechtswidrig wäre und die Vertragsparteien
das wussten. Die
Parteien sollen nicht durch den Abschluss eines Vertrages materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
eines VAs umgehen.
> § 59 Abs. 2 Nr. 3 und 4 gelten für spezielle Arten des
subordinationsrechtlichen
Verwaltungsvertrags.
Spezielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für verschiedene
Unterarten des
verwaltungsrechtlichen Vertrags:
> Subordinationsrechtlicher Vertrag nach § 54 Satz 2 VwVfG: Fälle,
in denen
die Behörde an den Vertragspartner auch einen VA hätte richten
können. Es gibt
verschiedene Möglichkeiten: Die Behörde kann sich in dem Vertrag
verpflichten,
später den vom Bürger begehrten VA zu erlassen (VA-vorbereitende
Verträge),
sie kann in dem Vertrag selbst die Regelung treffen, die sonst der VA
träfe (VAersetzende
Verträge), oder sie kann Vertrag und VA in einer Urkunde äußerlich
verbinden. Als subordinationsrechtlich werden auch solche Verträge
qualifiziert,
die zwar in keinem Zusammenhang mit einem VA stehen, die aber im konkreten
Fall ein Über-Unterordnungsverhältnis von Behörde und Bürger
widerspiegeln.
> Gegenbegriff Koordinationsrechtlicher Vertrag: Behörde und Bürger
stehen
sich „von gleich zu gleich“ gegenüber. (Zu den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
sogleich unten.)
> Subordinationsrechtlicher Vergleichsvertrag nach § 55 i. V.
m. § 54 Satz 2
VwVfG: Es gelten die allgemeinen Regelungen für den subordinationsrechtlichen
Vertrag und zusätzlich § 55. Voraussetzungen:
1) Ungewissheit über tatsächliche oder rechtliche Umstände;
2) Behörde muss den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der
Ungewissheit
nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig
halten (dürfen);
3) Nachgeben beider Vertragsparteien.
Die Nichtigkeit eines Vergleichsvertrags kann sich insbes. aus §
59 Abs. 2 Nr. 3
ergeben, aber auch aus § 59 Abs. 2 Nr. 1 und 2 oder § 59 Abs.
1 i. V. m. § 134
oder § 779 BGB.
> Subordinationsrechtlicher Austauschvertrag nach § 56 i. V. m.
§ 54 Satz 2
VwVfG: Regelungszwecke sind Schutz des Bürgers vor der Abverlangung
ungerechtfertigter
Leistungen und Verhinderung des Ausverkaufs von Hoheitsrechten.
Voraussetzungen: Die Gegenleistung muss (ergibt sich alles aus §
56)
1) für einen bestimmten Zweck im Vertrag vereinbart werden,
2) der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben
dienen,
3) den gesamten Umständen nach angemessen sein und
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4) im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde
stehen
(„Kopplungsverbot“).
Sieht eine Rechtsnorm die vom Bürger begehrte Rechtsfolge zwingend
vor, ist
§ 56 Abs. 2 zu beachten!
Bei Verstoß gegen irgendeine der Voraussetzungen des § 56:
Nichtigkeit des Vertrags
gemäß § 59 Abs. 2 Nr. 4. Daneben gelten auch § 59
Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1
und 2.
> Nichtigkeit koordinationsrechtlicher (Vergleichs- und Austausch-
und
sonstiger) Verträge: Hier gelten die §§ 54 Satz 1, 57,
59 Abs. 1 VwVfG. Nicht
§ 55 und nicht § 56 und nicht § 59 Abs. 2.
bb) Keine allgemeinen Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 1 VwVfG
> § 59 Abs. 1 gilt für alle Arten des Verwaltungsvertrags.
> Häufig im Zusammenhang mit § 59 Abs. 1 VwVfG vorkommende
BGBVorschriften
(nachlesen): §§ 105, 125, 138, 142 i. V. m. 119 ff. BGB.
> Problem: § 134 BGB. Wendete man § 134 immer bei Rechtswidrigkeit
eines
Verwaltungsvertrags an, wären alle rechtswidrigen Verwaltungsverträge
nichtig
und § 59 Abs. 2 VwVfG überflüssig. Das kann der Gesetzgeber
so nicht gemeint
haben. Andererseits soll § 134 BGB auch nicht unanwendbar sein, sonst
hätte der
Gesetzgeber ihn von der Verweisung in § 59 Abs. 1 VwVfG ausgenommen.
Praxis:
§ 134 wird nur bei „qualifizierter“, d. h. besonders
schwerwiegender Rechtswidrigkeit
angewendet; bei „schlichter“, d. h. „nicht-so-schlimmer“
Rechtswidrigkeit
tritt die Nichtigkeitsfolge der §§ 59 Abs. 1 VwVfG, 134 BGB
nicht ein
(BVerwGE 89, 7, 10; 98, 58, 63). Was das im Einzelfall bedeutet, ist allerdings
recht nebelhaft (Kasuistik). Ein Vertrag ist jedenfalls dann nichtig,
wenn der
Zweck des Verbotsgesetzes nur durch diese Nichtigkeit erreicht werden
kann. Ein
Verstoß gegen zwingende, unmittelbar anwendbare EG-Rechtsvorschriften
führt
zur Nichtigkeit (z. B. Verstoß gegen das Beihilfenverbot, vgl. BGH
EuZW 2003,
481 ff., allerdings für privatrechtliche Subventionsverträge).
2. Anspruch nicht untergegangen und durchsetzbar, § 62 S. 2 VwVfG
i. V. m. den
schuldrechtlichen Vorschriften des BGB
3. Folgen der Nichtigkeit und der Wirksamkeit
> Einen nichtigen Vertrag muss niemand beachten.
> VAe, die aufgrund eines nichtigen Vertrags erlassen wurden, sind
ihrerseits nicht nichtig,
nur rechtswidrig.
> Leistungen aufgrund eines nichtigen Vertrags sind nach den Regeln
des öffentlichrechtlichen
Erstattungsanspruchs rückabzuwickeln. Statthaft ist die allgemeine
Leistungsklage.
Voraussetzungen: 1) Erlangtes Etwas; 2) durch Leistung (bewusste zweckgerichtete
Mehrung
fremden Vermögens) des Anspruchstellers; 3) ohne Rechtsgrund. Entscheidend
ist
Punkt (3): Hier ist die Wirksamkeit des öffentlichrechtlichen Vertrags
(der als Rechtsgrund
dienen könnte) zu überprüfen, d. h. der hier dargestellte
Prüfungsaufbau ist an dieser Stelle
einzuschalten. 4) Evtl. Einwendungen, die ggf. auch ausgeschlossen sein
können.
> Bei wirksamen Verträgen ist das gesamte Instrumentarium des
BGB einschlägig (§ 62
Satz 2 VwVfG), inklusive c.i.c. und pVV, Ansprüche wegen Pflichtverletzung
etc. pp., es
sei denn, das VwVfG enthält Sonderregeln. Die Behörde darf vertragliche
Ansprüche nicht
durch VA durchsetzen, es sei denn, ein Gesetz ermächtigt sie dazu.
> § 60 VwVfG: Vertragsanpassung und Kündigung. Lesen!
Zur Vor- und Nachbereitung: Peine, Rn. 759 – 867; Hufen, §
28
29
XIII. Das schlichte Verwaltungshandeln [am Beispiel der Begründetheit
einer allgemeinen
Unterlassungs- bzw. Leistungsklage]
1. Anspruchsgrundlage (quasi-negatorischer Abwehranspruch bzw. Folgenbeseitigungsanspruch)
2. Anspruchsvoraussetzungen
a) (Schlicht) hoheitliches Verwaltungshandeln
> Handlungen von Hoheitsträgern, die nicht auf die Herbeiführung
einer Rechtsfolge,
sondern auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet sind.
> Es kommt vor, dass einem Realakt eine behördliche Entscheidung
vorgeschaltet ist,
ob der Realakt durchgeführt werden soll. Diese Entscheidung kann
ein VA sein, gegen
den Widerspruch und Anfechtungsklage statthaft sind. Es ist daher sauber
zu analysieren,
welche Schritte die Behörde vorgenommen hat. I. d. R. spricht eine
aufwendige,
komplizierte rechtliche Prüfung im Vorfeld des Realakts für
einen vorgeschalteten
VA, eine einfache, routinemäßige rechtliche Beurteilung dagegen.
> Realakte müssen gemäß ihrem Kontext als privatrechtlich
oder öffentlichrechtlich
eingeordnet werden; da ein Realakt selbst eine völlig neutrale tatsächliche
Handlung
ist, kann man nur auf die Gesamtschau der Begleitumstände abstellen,
v. a. darauf, ob
das Handeln aufgrund öffentlichrechtlicher Vorschriften erfolgt.
> Überblick über die wichtigsten Fallgruppen
- Unmittelbarer polizeilicher Zwang (z. B. Schlagen, Schießen u.
ä.)
- Auszahlung von Geld
- Fahrt mit einem Dienstfahrzeug (mit oder ohne Blaulicht)
- Bau eines Verwaltungsgebäudes
- Abriss eines Hauses
- Behördliche Warnungen (können besonders eingriffsintensiv
für Betroffene sein!)
> Manche Arten von Realakten sind gesetzlich geregelt, die meisten
aber nicht.
b) Eingriff in ein subjektives Recht
> Es ist positiv festzustellen, ob in ein subjektives Recht des Klägers
(wir sind im
Kontext Leistungs-/Unterlassungsklage) eingegriffen wurde. Das Recht ist
konkret zu
benennen, und es ist zu prüfen, ob es dem Kläger zustehen kann
(zumindest auch Individualschutz)
und im konkreten Fall zusteht.
c) Rechtswidrigkeit des (schlichten) Verwaltungshandelns
aa) Formelle Rechtmäßigkeit (insbesondere Zuständigkeit
der Behörde)
> Falls es spezialgesetzliche Regelungen des Realhandelns gibt, wird
dort auch
eine Zuständigkeitsregelung zu finden sein. Ansonsten ist schlicht
wieder der
„Kontext“ zu bemühen: Steht das Realhandeln im Kontext
mit bestimmten Verwaltungsaufgaben
in Verbindung, so ist die Behörde zuständig, die auch für
diese
Aufgaben zuständig ist.
bb) „Ermächtigungsgrundlage“ bei Grundrechtseingriffen
> Beeinträchtigt das Realhandeln niemandes Rechte, so ist auch
keine Ermächtigungsgrundlage
erforderlich. Es gilt dann nur der Grundsatz, dass Realakte nicht
gegen Rechtsvorschriften oder allgemeine Rechtsgrundsätze verstoßen
dürfen
(dazu sogleich cc). Greift ein Realakt in ein subjektives Recht ein (im
Falle der
30
Prüfung einer Leistungs-/Unterlassungsklage haben wir das schon unter
b festgestellt),
ist eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich (Vorbehalt des Gesetzes,
im
einzelnen streitig).
> Problematik behördlicher Warnungen (z. B. Veröffentlichung
von Warnungen
vor schädlichen Lebensmitteln oder religiösen Gruppierungen
durch verschiedene
Stellen staatlicher Verwaltung; vgl. BVerfGE 105, 252; 105, 279; BVerwGE
87,
37; 82, 76; 71, 183; DVBl. 1996, 807; OLG Stuttgart NJW 1990, 2690): Solche
Realakte greifen nicht als Hauptzweck in die Rechte der Betroffenen ein;
Hauptzweck
ist der Schutz der Bevölkerung bzw. bestimmter Bevölkerungsgruppen,
z. B. Jugendlicher, vor Gefahren. In der Terminologie des BVerfG heißt
das „mittelbar-
faktische Grundrechtsbeeinträchtigung“, und „derlei faktisch-mittelbare
Wirkungen entziehen sich typischerweise der Normierung“ (BVerfG
105, 279).
D. h. eine Ermächtigungsgrundlage wird vom BVerfG dafür nicht
gefordert (insbesondere,
wenn es sich um Regierungstätigkeit handelt). Dagegen wird eingewandt,
dass die Beeinträchtigung der Rechte der Betroffenen so eng und denklogisch
mit dem bezweckten Schutz zusammenhänge (die Leute sollen keine schädlichen
Lebensmittel von den Betroffenen kaufen, Jugendliche sollen nicht in die
betroffenen Sekten eintreten), dass man von – zwar „nur“
faktischen, aber – finalen
Eingriffen sprechen müsse. Für finale Eingriffe bedarf es aber
nach den allgemeinen
Regeln (Vorbehalt des Gesetzes) einer formellgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
Alles sehr str. und gründlich nachzulesen!
cc) Kein Verstoß gegen sonstige gesetzliche Vorschriften
> Ggf. Sonderregeln, die die Durchführung bestimmter Realhandlungen
regeln.
> Es ist auch zu beachten, ob den Bürger gewisse Duldungspflichten
treffen, die
sich auch aus gesetzlichen Vorschriften ergeben können.
dd) Verhältnismäßigkeit
> Von der Verwaltung bei allem Handeln zu beachten.
d) Andauern des dadurch verursachten rechtswidrigen Zustands (nur beim
FBA)
> Der Folgenbeseitigungsanspruch geht auf Beseitigung eines noch andauernden
rechtswidrigen Zustands.
e) Rechtliche und faktische Möglichkeiten der Unterlassung bzw. der
Folgenbeseitigung
f) Mitverschulden
Zur Vor- und Nachbereitung:
zu 1, 2: Peine, Rn. 1018 – 1076 ; Maurer, § 15, Rn. 1 –
24
zu 2 a: Peine, Rn. 878 – 889
Hufen, § 27 |